Economia Col-lectiva: Europas letzte Revolution

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Gelebte Utopie

Kriegszeiten sind Revolutionszeiten. In Russland 1917, in Deutschland 1919 markierte die gesellschaftliche Umwälzung das jeweilige Ende des Krieges – in Spanien stand eine Revolution am Anfang. Der Sieg der linken Volksfront in den Parlamentswahlen Anfang 1936 führte zum Putsch der Faschisten, die General Franco anführte – und als dessen Truppen im Sommer 1936 in Katalonien vertrieben wurden, setzte sich dort eine anarchistische Sozialrevolution durch, die in der Geschichte ihresgleichen sucht.
Im deutschen Geschichtsunterricht hört man kaum etwas vom Spanischen Bürgerkrieg. Mit welchem Leid dieser Krieg ab 1936 vonstattenging – höchstens ein kleines bisschen Unterrichtsstoff wegen Hitlers militärischer Unterstützung für Franco: Guernica, die Legion Condor und so. Dass Francos Diktatur, ein faschistisches Regime mitten in Europa, bis in die 1970er Jahre bestehen blieb – nicht relevant in Zeiten des Kalten Krieges. Die republikanischen, linken, auch anarchistischen Franco-Gegner, die versuchten, dem Faschismus Paroli zu bieten – davon kein Wort. Vermutlich, weil die Geschichte von Siegern geschrieben wird; und weil Franco gewann; und weil er zehntausende Gegner nach 1939 hinrichten ließ.

Diesem Schweigen will Economia Col-lectiva ein prägnantes filmisches Ausrufezeichen entgegensetzen – in der Originalfassung standesgemäß in katalanischer Sprache: Die Revolution des Anarchosyndikalismus in und um Barcelona, die dem Kapitalismus und dem Faschismus Signale der Solidarität und der Menschlichkeit im wirtschaftlichen Streben entgegenbrachte. Und die zwischen rechten und linken Kräften letztlich aufgerieben wurde: Franco, der die Anarchisten militärisch siegte, und die Kommunisten, die den Anarchismus ideologisch unterbutterten.

Mit Zeitzeugen, historischen Dokumenten und zeitgenössischem Filmmaterial bereitet Regisseurin Eulàlia Comas die Geschichte der anarchistischen Gesellschaftsordnung im Katalonien der Jahre 1936 und 1937 nach: Der Sieg über Francos Truppen; die Umordnung der Wirtschaft; die Enteignung der Betriebe; die Kollektivierung des Eigentums; die Etablierung nicht-hierarchischer, solidarischer Arbeit; die Steigerung der Produktivität; die Leistungen in Bereichen wie Bildung und Kultur; die Einführung von Arbeiterwohlfahrt; nicht zuletzt die Leidenschaft der Arbeiterklasse. Und dann der Niedergang – nicht nur, weil Francos Truppen vorstoßen, nein: weil innerhalb der linken antifaschistischen Koalition die Polarisation zu groß ist. Für die Kommunisten, so heißt es einmal im Film, sei der Anarchismus der schlimmste Feind: Während Anarchisten den Staat bekämpfen, sei für den Kommunisten der Staat die Verkörperung des Volkes, der Partei.

Wie baut man eine Wirtschaft, eine Gesellschaft auf, wenn man mit dem Staat nichts anfangen will? Kollektivierung der Unternehmen; Gleichheit der Arbeiter; Solidarität der Industrien; kein Wettbewerb, sondern Zusammenschluss zu Gilden, Kartellen; und bei all dieser Monopolisierung der Gesellschaft dienen: Was den Anarchosyndikalisten um die Gewerkschaft CNT gelang, ist so etwas wie die Quadratur des Kreises. Während die Löhne einander angeglichen wurden, während Schulen, Bibliotheken, öffentlicher Nahverkehr auf- und ausgebaut wurden, während Arbeitnehmerschutz, Sozialversicherungen, Hygiene verbessert wurden; währenddessen stieg die Produktivität. Und die Wirtschaft brummte. Lag das daran, dass im Krieg eine Menge Waffen produziert werden mussten, dass in den 1930er Jahren ohnehin eine Modernisierung der Arbeitswelt überfällig war, konnten die Anarchisten also einfach auf einen fahrenden Zug aufspringen? Oder war es vielleicht doch ein wichtiger Faktor, dass die Fabriken nun den Arbeitern gehörten, dass die Arbeiter also für sich selbst arbeiteten, dass nicht finanzieller Profit, sondern ein Gewinn für die ganze Gesellschaft angestrebt wurde?

Vielleicht wäre dieses anarchistische Experiment ja irgendwann von alleine zusammengeklappt, auch ohne Druck von außen. Im Mai 1937 jedenfalls probten die Kommunisten – eigentlich Verbündete gegen Franco! – den gewaltsamen Aufstand gegen die anarchistische Gemeinschaft in Barcelona; kurz darauf rückten die Faschisten ein. Hätte der Anarchismus siegen können? Oder waren diese Monate nur ein Blick in eine Utopie, bevor die Wirklichkeit wieder alles verdunkelte? Andersherum gefragt: Hätte der anarchistische Mythos von den paradiesischen Tagen der Mittdreißiger Jahre überlebt, wenn sich der Anarchismus irgendwann selbst überlebt hätte?

Die anarchistische Idee: Sie ist lebendig und derzeit im Aufschwung. Davon zeugt eine kleine Geschichtsstunde wie Economia Col-lectiva ebenso wie beispielsweise der im Januar 2016 startende Dokumentarfilm Projekt A von Marcel Seehuber und Moritz Springer, in dem die Filmemacher der anarchistischen Bewegung in Europa nachgehen und dabei auch den letzten, heutigen Ausläufern dieser spanischen Revolution nachspüren. Anarchismus, so muss man diese Filme verstehen, wird in der heutigen globalisierten, hyperkapitalisierten Zeit mehr und mehr zur echten Alternative.

Economia Col-lectiva: Europas letzte Revolution

Kriegszeiten sind Revolutionszeiten. In Russland 1917, in Deutschland 1919 markierte die gesellschaftliche Umwälzung das jeweilige Ende des Krieges – in Spanien stand eine Revolution am Anfang.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen