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Lukasz Konopa und Emil Langballe bieten in ihrem Dokumentarfilm über den ehemaligen Rebellenführer und verurteilten Kriegsverbrecher Dominic Ongwen aus Uganda keine leichte Kost. Dafür geben sie umso mehr Denkanstöße über wichtige Fragen.
 

Theatre of Violence (2023)

Eine Filmkritik von Reinhard Kleber

Die Grenzen der Gerechtigkeit


Wie wird aus einem kindlichen Opfer ein erwachsener Kriegsverbrecher? Warum werden manche Täter bestraft, andere aber nicht? Wie kann eine Gesellschaft, die massenhaft Verbrechen gegen die Menschlichkeit erlebt hat, Ruhe finden und nach vorne schauen? Mit solchen Fragen befasst sich der Dokumentarfilm „Theatre of Violence“ der Regisseure Lukasz Konopa und Emil Langballe, der im Mai 2023 auf dem DOK.fest München den Hauptwettbewerb gewonnen hat.

Das Regieduo beleuchtet ebenso anschaulich wie kenntnisreich den Fall des ehemaligen Kindersoldaten Dominic Ongwen, der mit neun Jahren von der Rebellenorganisation Lord‘s Resistance Army (LRA) in Nord-Uganda entführt wurde und später dort als Kommandeur Gräueltaten verübte. Die LRA führte einen blutigen Kampf gegen das Regime des Langzeitpräsidenten Yoweri Museveni. Gräueltaten, bei dem etwa 100.000 Menschen zu Tode kamen.

Ongwen wurde 2016 vor dem Internationalen Strafgerichtshof in den Haag wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in 70 Fällen angeklagt, im Februar 2021 in 61 Anklagepunkten schuldig gesprochen und im Mai 2021 zu 25 Jahren Haft verurteilt. Nach Ansicht des Gerichts hatte er unter anderem Morde, Folter, Vergewaltigungen, Versklavungen und Plünderungen begangen.

Konopa und Langballe kombinieren Aufnahmen aus dem Gerichtssaal, Statements der Prozessbeteiligten und Audiomitschnitte von Aussagen des Angeklagten mit Impressionen aus Uganda. Zur Schlüsselfigur avanciert der Hauptverteidiger Ongwens, Krispus Ayena, der selbst Brüder durch die Hand der LRA verloren hat. Er reist nach Uganda, um Zeugen, Opfer und Tatorte zu besuchen. Als Verteidiger betont er, dass Ongwen als Neunjähriger einer Gehirnwäsche unterzogen worden sei, als Kindersoldat und Killermaschine dieser 27 Jahre im Busch unter dem Bann des LRA-Gründers Joseph Kony gestanden habe und damit nur eingeschränkt verantwortlich für seine Gewalttaten sei.

Ayena und auch Konys dubioser Berater Jackson Achama weisen mehrfach auf den starken Einfluss des Spiritualismus hin, den Kony auf seine Untergebenen gehabt habe. Diesen kulturellen Hintergrund müssten die Richter in Den Haag berücksichtigen. Ungewöhnliche Einblicke in die juristischen Mechanismen hinter den Kulissen gewährt der Film, wenn Ayena mit seinem wichtigsten Assistenten die Strategie der Verteidigung bespricht. Als visuelle Auflockerung zu den vielen Talking Heads fungieren zuweilen Szenen von Buschfeuern, die in der Dämmerung, unterlegt von einem bedrohlichen Soundtrack, magisch leuchten.

Seine stärksten Momente hat der klar strukturierte Film, wenn Überlebende von den mörderischen Gewalttaten der LRA-Terroristen erzählen oder Ongwen selbst aus dem Off seine furchtbaren Erfahrungen als kleiner Junge schildert. Als Zuschauer/in muss man da schon starke Nerven mitbringen oder eben weghören.

Die Regisseure aus Polen und Dänemark beschränken sich nicht auf den spektakulären Fall, sondern stellen ihn in einen größeren Kontext. So erfährt man im Vorspann, dass ethnische Konflikte im künstlich geschaffenen Staat Uganda vom Prinzip „Teile und Herrsche“ der britischen Kolonialherren angeheizt wurden und auch über die Unabhängigkeitserklärung von 1962 hinaus anhielten. Nachdem Museveni 1962 die Macht ergriffen hatte, fachte er die Konflikte durch die Unterdrückung der Volksgruppen der Acholi und Lango an. Die Gründung der LRA durch den früheren katholischen Messdiener Kony war wiederum eine Reaktion darauf.

Vor diesem Hintergrund darf man sich nicht wundern, wenn Ugander im Film skeptisch fragen, warum nur Ongwen vor Gericht steht, Kony und seine Offiziere sowie die Verantwortlichen für ähnlich schwere Verbrechen der Regierungsarmee aber nicht.
Überdies eröffnet der Film mit der Dozentin Rosalia Oywa von der Coalition for Peace in Afrika eine rechtsphilosophische Dimension. Wenn sie argumentiert: „Wir glauben, dass selbst der schlimmste Straftäter bekehrt und ein nützliches Mitglied der Gemeinschaft werden kann“, skizziert sie ein zukunftsgerichtetes Gegenmodell zur Vergeltungsjustiz des Westens.

„Theatre of Violence“ versucht erst gar nicht, einfache Lösungen für komplexe Probleme zu liefern. Dafür wirft er viele Fragen auf, die noch lange nach der Sichtung nachhallen. Wie ist es möglich, ein unschuldiges Kind in eine grausame Mordmaschine zu verwandeln? Wie können Opfer und Täter künftig zusammenleben? Ist die Gesellschaft zur Resozialisierung von Kriegsverbrechern bereit? Ist der afrikanische Weg zur Re-Integration womöglich zielführender als der europäische?
 

Theatre of Violence (2023)

Dominic Ongwen war neun Jahre alt, als die sogenannte Widerstandsarmee des Herrn (Lord’s Resistance Army), angeführt von Joseph Kony, ihn aus dem Haus seiner Eltern in Gulu, Uganda, verschleppte. Dominic wurde gefoltert, einer Gehirnwäsche unterzogen und zum Töten gezwungen. Er wurde nicht befreit und ist auch nicht geflohen. Nach rund 30 Jahren im Busch stellte er sich schließlich. Er wurde des Völkermords und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt, an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ausgeliefert und inhaftiert. Dort steht er derzeit in einem beispiellosen Präzedenzfall vor Gericht: Ongwen ist der erste ehemalige Kindersoldat, dem wegen Kriegsverbrechen der Prozess gemacht wird.

Der Film begleitet Ongwens Anwalt Krispus Ayena und sein Team während des Prozesses vor dem Internationalen Strafgerichtshof und in Uganda, wo sie Material, Beweise und Zeugenaussagen zusammentragen. Sie wollen herausfinden, was Ongwen im Busch erlebt hat und welchen Einfluss diese Erfahrungen auf ihn hatten. Für sie ist dieser Fall viel mehr als einfach nur ein weiteres Mandat.

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