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In „Sons“ erzählt Gustav Möller von einer Gefängniswärterin, die durch persönliche Betroffenheit die Kontrolle zu verlieren droht.

Sons (2024)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Der Mann in Zelle 17

Wachpersonal in Gefängnissen wird in Filmen oft herzlos, zuweilen gar sadistisch gezeichnet. Die Protagonistin Eva (Sidse Babett Knudsen), die als Gefängniswärterin tätig ist, erscheint hingegen zunächst sehr freundlich. Mit den Worten „Guten Morgen! Gut geschlafen?“ überreicht sie den Häftlingen das Frühstück. Sie zeigt den Männern, wie diese beim Kochen helfen oder eine Rechenaufgabe lösen können – und sie bietet im Fitnessraum Achtsamkeits- und Meditationsübungen an.

Ihr Verhalten ändert sich indes, als der 25-jährige Mikkel (Sebastian Bull) in das Gefängnis verlegt wird. Plötzlich mutet Eva angespannt an. Unter einem Vorwand lässt sie sich in Mikkels Block – einen Hochsicherheitstrakt – versetzen. Schnell ahnen wir, dass Eva einen persönlichen Bezug zu dem hochaggressiven Mann hat, der 16 Jahre absitzen muss, weil er einen Mithäftling getötet hat.

Während wir Eva als empathische, beherrschte Person kennengelernt haben, wird sie nun zu einem Menschen, der fragwürdige Dinge tut. Sie verweigert Mikkel seine Zigaretten, wirft seine Post weg, spuckt in sein Essen und lässt ihn nicht aus seiner Zelle, als er zur Toilette muss. Als sie bei einer Razzia innerhalb des Gefängnisses brutal auf ihn losgeht und ihn schwer verletzt, droht ihr eine Anzeige.

Interessant ist, wie der 1988 in Göteborg geborene Regisseur und Co-Drehbuchautor Gustav Möller (The Guilty) hier ein Machtspiel aufbaut, bei dem die Verhältnisse anfangs ganz klar verteilt sind: Eva hat in ihrer Position als Wärterin stets die Oberhand. Durch Überwachungskameras hat sie Mikkel im Blick; er ist in jeder Hinsicht auf sie angewiesen. Wenn er gegen ihre Provokationen rebelliert, landet er prompt in Einzelhaft. Durch Evas unkontrollierte Aktion im Verlauf der Razzia macht sie sich indes angreif- und erpressbar. Die Beziehung zwischen den beiden Hauptfiguren wandelt sich. Für kurze Zeit scheint es dann beinahe so, als entstünde eine gewisse Versöhnlichkeit zwischen den beiden. Doch etwas Erlösendes hält Möllers Werk letztlich nicht bereit.

„Manche Leute kann man nicht retten“, heißt es gegen Ende von Sons. Diese bittere Erkenntnis lässt sich sowohl auf Eva als auch auf Mikkel beziehen. Beide sind auf ihre Weise Gefangene. Wie der dänische Arthouse-Star Sidse Babett Knudsen (The Duke of Burgundy) und der ebenfalls aus Dänemark stammende Ex-Kinderdarsteller Sebastian Bull (Die Jagd) diese Hoffnungslosigkeit vermitteln, steckt voller Wucht. Sie werfen sich rückhaltlos in ihre Rollen und bringen die erschreckende Grausamkeit zum Ausdruck, die sich aus purer Verzweiflung entwickeln kann.

Eine Sequenz, in der Mikkel unter Evas Aufsicht seine Mutter Helle (Marina Bouras) in deren Haus zu Kaffee und Kuchen besuchen darf, ist unfassbar spannend, da wir mit drei Personen am Tisch sitzen, die alle auf unterschiedlicher Ebene einer spürbar starken Belastung ausgesetzt sind. Sons ist ein schonungsloses Drama, mit dem Gustav Möller uns abermals sein großes Talent demonstriert, gemeinsam mit seinen Schauspieler:innen tief in Abgründe hineinzuschauen.

Gesehen auf der Berlinale 2024.

Sons (2024)

Die idealistische Gefängniswärterin Eva steht vor dem Dilemma ihres Lebens, als ein junger Mann aus ihrer Vergangenheit in das Gefängnis verlegt wird, in dem sie arbeitet. Ohne ihr Geheimnis preiszugeben, bittet sie darum, in seinen Block versetzt zu werden, wo es so brutal zugeht wie nirgends sonst. So beginnt ein verstörender Psychothriller, in dem Evas Gerechtigkeitssinn zur Bedrohung für ihre Moral und ihre Zukunft wird. (Quelle: Berlinale)

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