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In „Les Paradis de Diane“ wagen sich Carmen Jaquier und Jan Gassmann an ein Tabuthema: Sie folgen einer Frau, die nach der Geburt keinerlei Müttergefühle empfindet.

Paradises of Diane (2024)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Ausstieg aus dem festgelegten Leben

In Filmen sind Mütter oft warmherzige, allerdings zugleich recht eindimensional angelegte Figuren: Sie stehen für das Gute, Fürsorgliche, Behütende – und scheinen kaum eigene Bedürfnisse zu haben. In einigen Fällen, etwa in „Meine liebe Rabenmutter“ (1981), sind sie wiederum grausame Gestalten – und damit ebenso einseitig gezeichnet. Ferner ist die abwesende, zumeist verstorbene Mutter ein gängiges Motiv, insbesondere in Märchen und Melodramen. Im Leben der Held:innen hinterlassen die verlorenen Mütter dann üblicherweise eine Lücke, aus der sich ein tiefer Schmerz ergibt.

Das Regieduo Carmen Jaquier und Jan Gassmann zeigt in Les Paradis de Diane auf Basis eines Drehbuchs von Jaquier eine Frau, die ein gesellschaftliches Tabu bricht. Da sie nach der Geburt ihrer Tochter keine Muttergefühle entwickelt, lässt Diane (Dorothée de Koon) ihren Partner Martin (Roland Bonjour) mit dem neugeborenen Kind kurzerhand zurück. Sie verlässt in der Nacht die Entbindungsstation eines Zürcher Krankenhauses, steigt ohne Ziel in einen Bus und landet so in der spanischen Stadt Benidorm. Ihr Handy, auf dem alsbald etliche Anrufe und Nachrichten eingehen, vergräbt sie hastig. Sie will nicht gefunden werden.

Es ist eindrücklich und erschreckend, wie Jaquier, Gassmann und der Kameramann Thomas Szczepanski die anfängliche Distanz der Protagonistin zum Geschehen erfassen. Er sei so glücklich, meint Martin nach der Geburt – doch Diane scheint keinerlei Freude zu spüren. Sie sucht keine Nähe zu dem Neugeborenen. Den Schreien des Kindes begegnet sie mit Indifferenz. Dorothée de Koon, die bisher in erster Linie als Musikerin in Erscheinung getreten ist, verkörpert diese schwierige Rolle betont verschlossen. Sie verweigert uns als Publikum die Möglichkeit, in die Seele von Diane zu schauen.

Ob er glaube, sie sei ein Monster, fragt Diane an einer Stelle einen älteren Urlauber (Duncan Airlie James), der sie für eine Sexworkerin hält. In einer bizarr anmutenden Sequenz offenbart sie dem Mann, was sie getan hat. Eine Antwort auf ihre provokante Frage kann und will er Diane nicht geben – und auch der Film nimmt keine Wertung vor, sondern beobachtet die Hauptfigur nur. Diese wird wiederholt von ihrem Körper durch diverse Signale an ihr Dasein als Mutter erinnert.

Die zuweilen extrem sperrige Art der Inszenierung und das durchweg impulsive Handeln von Diane verhindern eventuell, dass eine gründliche Auseinandersetzung mit dem wichtigen Sujet stattfindet. Indem das Skript seine Titelfigur immer wieder in groteske Situationen bringt, geraten die interessanten Ursprungsfragen zu Mutterschaft und klassischem Familienleben im Laufe des Plots beinahe aus dem Fokus. Es ist vermutlich aber auch nicht ganz gerecht, von einem Film zu erwarten, alle Aspekte dieses Themas zu behandeln, einfach nur, weil sich bis dato noch so wenige Erzählungen damit beschäftigt haben.

Les Paradis de Diane ist herausfordernd, anstrengend, jedoch in vielen Momenten ebenso spannend in seinen Betrachtungen – etwa wenn Diane eine Freundschaft zur einsamen Seniorin Rose (Aurore Clément) aufbaut oder wenn sie sich durch das touristisch geprägte Nachtleben von Benidorm bewegt. Die von Neonlicht durchwirkte Strandpromenade hat hier etwas Surreales – und wird zum Schauplatz eines ungewöhnlichen Befreiungsversuchs.

Gesehen auf der Berlinale 2024.

Paradises of Diane (2024)

Unmittelbar nach der Geburt ihres Kindes lässt Diana Mann und Neugeborenes im Krankenhaus in Zürich zurück und taucht in einer ihr fremden spanischen Stadt am Mittelmeer unter. Doch die Prozesse in ihrem Körper rufen ihr das, wovor sie flieht, in Erinnerung.

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