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In „Norwegian Dream“ begleitet Leiv Igor Devold einen jungen Mann aus Polen bei der Arbeit in einer norwegischen Fischfabrik – und beim ersten Verliebtsein.

Norwegian Dream (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Die Träumer

Oft verfolgen die Protagonist:innen von Filmen übergroße Träume: Sie wollen ganz nach oben an die Spitze, indem sie auf einem bestimmten Gebiet (etwa in einer künstlerischen oder sportlichen Disziplin, in der Politik oder in der Wissenschaft) zur Nummer eins werden. Der Weg dorthin ist stets dornig – doch ein Aufgeben kommt natürlich gar nicht infrage.

Wie bereits der Titel ankündigt, erzählt auch der Regisseur Leiv Igor Devold in seinem Langfilmdebüt Norwegian Dream auf Basis eines Drehbuchs von Justyna Bilik, Gjermund Gisvold und Radosław Paczocha von einem Traum. Der 19-jährige Robert (Hubert Miłkowski) visiert allerdings ein Ziel an, das vergleichsweise bescheiden wirkt: Er möchte eines Tages eine eigene Tankstelle besitzen. Früher wollte er, wie er sagt, „wie Eminem sein“, was er mit einer kurzen Rap-Einlage unterstreicht; inzwischen strebt er etwas deutlich Bodenständigeres an.

Robert ist ein relativ stiller Held, dem Hubert Miłkowski in seiner zurückhaltenden, aber dennoch sehr intensiven Darstellung einen starken Ausdruck verleiht. Der junge Mann ist aus seiner polnischen Heimat angereist, um an der norwegischen Küste in einer Fischfabrik nahe Trondheim zu jobben. Sein wichtigstes Anliegen ist es, die Schulden seiner Mutter abbezahlen zu können.

In die Clique der anderen polnischen Kolleg:innen integriert sich Robert recht schnell. Zudem entwickelt er eine große Faszination für Ivar (Karl Bekele Steinland), den etwa gleichaltrigen Adoptivsohn des Fabrikleiters. Ivar macht – im Gegensatz zu Robert – kein Geheimnis daraus, schwul zu sein. Er tanzt entrückt mit Kopfhörern auf dem Fabrikgelände, singt abends in der Karaokebar mit Hingabe den Pop-Hit Little Boy von Hedda Barbøl und möchte bald als Schauspieler durchstarten. Der unterschiedliche Umgang mit der eigenen sexuellen Identität sorgt rasch für Konflikte zwischen Robert und Ivar, die sich noch verstärken, als es zum Streik in der Fabrik kommt.

Norwegian Dream ist eine feinfühlig geschilderte Liebesgeschichte und zugleich ein präzises Drama über die Arbeitsverhältnisse im Niedriglohnsektor. Schönheit und Kargheit liegen in der Inszenierung dicht beieinander. So fangen Leiv Igor Devold und sein Kameramann Patryk Kin zum einen die norwegische Fjord-Landschaft in einnehmenden Bildern ein – und beweisen zum anderen eine gute Beobachtungsgabe, wenn es um die monotonen Abläufe in der Fischfabrik und um die ausbeuterischen Bedingungen geht. Ebenso wird Roberts schwierige persönliche Situation nachvollziehbar gezeichnet: Er will – wie jeder junge Mensch – seine individuellen Vorstellungen von Glück verwirklichen, sieht sich aber auch gezwungen, seiner Mutter in ihrer finanziellen Notlage zu helfen.

In seinen romantischen Momenten lässt Norwegian Dream an André Téchinés queeren Coming-of-Age-Film Wilde Herzen (1994) denken. Auf ähnliche Weise gelingt Devold das Verweben tragischer und leichter Augenblicke. Die Leichtigkeit kann die Tragik selten vertreiben; das Traurige vermag das Leichte wiederum nie völlig zu überdecken und sorgt immer wieder für das nötige Licht. Liebe allein kann (leider) niemanden retten; sie kann jedoch den tristesten Ort, die anstrengendste Lebensphase aufregender machen.

Wenn Robert mit Kippe im Mund im Gras liegt und in den Himmel schaut, um die gerade erlebte körperliche Erfahrung mit Ivar Revue passieren zu lassen, ist das ein Bild, das einen Platz im Kanon des Adoleszenzkinos verdient hat. Da wird aus einem überschaubaren Traum ganz plötzlich eine Realität voller Möglichkeiten und schöner Gefühle.

Norwegian Dream (2023)

Der 19-jährige polnische Immigrant Robert arbeitet in Norwegen in einer Fischfabrik an der Küste von Trøndelag. Hier verliebt er sich in seinen Kollegen Ivar. Als dieser einen Streik in der Fabrik unterstützt, muss sich Robert zwischen dem Geld, das er so dringend braucht, und Ivar entscheiden.

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