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Eine traumatisierte Frau kehrt nach Jahren in ihr Heimatdorf zurück und verstrickt sich in mythischer Angst und männlicher Gewalt. Mitunter grandiose Bilder zerdehnen sich durch die ständige Wiederholung gleicher Motive zu einer eher drögen Angelegenheit. 

Nightsiren (2022)

Eine Filmkritik von Sebastian Seidler

Schuld und Mystik

Seit dem Erfolg von Robert Eggers‘ „The Witch“ (2015) halten Hexenfiguren wieder vermehrt Einzug ins Kino. Auffällig ist dabei der feministischere Twist. „Hagazussa“ (2017) von Lukas Feigelfeld ist dabei ebenso zu erwähnen wie „You won’t be alone“ (2022) mit Noomi Rapace. Zudem gibt es einige Filme, in denen der Horroraspekt zwar weiter in den Hintergrund rückt, dennoch aber im Hintergrund schwelt, etwa beim Schweizer Film „Foudre“ von Carmen Jaquier. Immer geht es um die Natur der Weiblichkeit, die reguliert und domestiziert wird, vor allem im Hinblick auf ihre Sexualität.

Nightsiren spielt das Hexenmotiv zwar deutlich aus, bleibt dem Übernatürlichen dennoch fern und ist damit einem Foudre deutlich näher. Zumal es in beiden Filmen um verstorbene Geschwister geht. Šarlota (Natalia Germani) kehrt nach Jahren der Abwesenheit in ihr altes slowakisches Bergdorf zurück. Als Kind ist sie weggelaufen, von der gewalttätigen Mutter und der Schuld. In einem unachtsamen Moment verschuldete sie den Tod der kleinen Schwester: ein Trauma, das sie seitdem mit sich herumträgt.

Und dann ist da noch die alte Frau, die in der Hütte oberhalb der ihrigen wohnte und die von allen für eine Hexe gehalten wurde. Auf ungetaufte Kinder habe sie gelauert, um sich mit ihrem Blut zu verjüngen. Was allerdings in all den Jahren wirklich passiert ist, kann Šarlota nur mühsam rekonstruieren. Warum ist das Haus der Mutter abgebrannt? Wo ist die alte Frau hin? Und warum reagieren alle derart verängstigt auf ihre Rückkehr?

Regisseurin Tereza Nvotová benutzt das Motiv der Hexe, um die misogynen, sexistischen und patriarchalen Strukturen der slowakischen Gesellschaft aufzudecken. Es sind die Männer, die das Sagen haben, die sich das nehmen, was sie wollen. Die Körper der Frauen sind nur zur Lustbefriedigung da. Und alles, was von dieser strengen „Normalität“ der Verhältnisse abweicht, wird gehasst und mitunter gefürchtet. Die Furcht ist die mythische Rückseite der männlichen Ordnung, an der auch die Frauen des Dorfes kräftig mitstricken. Hat man sich erstmal einer lästigen Abweichung entledigt – beispielsweise der alten Frau in der Holzhütte –, schleicht die Angst in die Glieder: Es könnte doch ein Fluch ausgesprochen worden sein.

All das ist nicht wahnsinnig neu. Weder die Bilder noch die Antworten, die in Nightsiren geliefert werden, überraschen. Dennoch besticht das Mystery-Drama mit durchaus beeindruckenden Bildern: Eine wilde Orgie mit Tanz und Sex im Wald erinnert an einen modernen Rave, bei dem jede Menge Drogen im Spiel sind. Auch die Tragik, die in der Figur der Šarlota steckt, wirkt glaubwürdig, indessen aber etwas dick aufgesetzt. Nightsiren will an der einen oder anderen Stelle zu viel: zu viel Drama, zu viel Trauma und auch zu viel Nacktheit, die nicht immer notwendig wäre und mitunter dem Male Gaze sehr nahekommt.

Die Horror-Schauer-Elemente geraten dabei in den Hintergrund. Auch weil der Film mit seinen fast zwei Stunden seinen dramaturgischen Sog nicht aufrechterhalten kann und sich in den Motiven gerade im Mittelteil etwas wiederholt. Wenn dann wenigstens das Ende sitzen würde. Tut es aber nicht. Die Auflösung gerät unentschlossen, gar gezwungen verrätselt. Mehr Verdichtung hätte dem Film gutgetan.

Nightsiren (2022)

Atmosphärischer Mystery-Horror über eine junge Frau, die einen Fall angeblicher Hexerei in ihrem Dorf aufklären will und dabei selbst in einen lebensgefährlichen Sog aus Aberglauben und schwarzer Magie gerät.

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