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Wie so oft in seiner Karriere nimmt sich der Dokumentarfilmer Frederick Wiseman einer großen Institution an, diesmal den Sterne-Restaurants der Familie Troisgros in Roanne. Doch die Welt der Haute Cuisine ringt ihm auch spät in seiner Karriere neue Facetten ab.

Menus Plaisirs - Les Troisgros (2023)

Eine Filmkritik von Lucas Barwenczik

Kochen heißt verwandeln

Jeder Winzer hat seine eigene écriture – so erklärt es der Kellner dem staunenden Kunden. Weinbauern entwickeln sich schließlich über Jahre hinweg und bilden Techniken und einen erkennbaren Stil aus. Wer einen guten Weißwein macht, braucht sich vor dem Werk des Honoré de Balzac nicht zu verstecken.

Menus Plaisirs — Les Troisgros, der neue Film des US-Dokumentarfilmers Frederick Wiseman, ist voll von solchen Momenten: Menschen sprechen feierlich über teure Menüs und Weine, über veredelte Formen von Lebensnotwendigem. Andererseits werden die Gerichte mit stiller Geschäftigkeit hergestellt, von Handwerkern bei der Arbeit, die höchstens durch simple Kommandos kommunizieren. Mehr Salz, nicht so lange kochen, noch ein bisschen Spargel dazu. Zwei verschiedene Welten, die eigentlich eine sind.

Wie so oft analysiert Wiseman eine Institution und ist nach Krankenhäusern, Bibliotheken oder dem Central Park jetzt in der Welt der Haute Cuisine angekommen. Sie nötigt ihm einen neuen Blick auf – noch mit 93 Jahren ringt der Regisseur seiner über 50 Jahre lang gereiften Arbeitsweise neue Facetten ab. Er nimmt die große Dynastie der französischen Küche in den Blick: Die Troisgros-Familie mit ihren edlen Restaurants in und um die Stadt Roanne. In diesem Michelin-Sternenhimmel beginnen Menüs gerne bei 300 Euro und die Weine können auch mal in den fünfstelligen Bereich vordringen. Nach mehreren Generationen haben nun drei Söhne übernommen und bemühen sich, aus dem Schatten ihres Vaters Michel zu treten.

Wir sehen einem ungewöhnlichen Prozess zu. Über die gesamte Laufzeit hinweg wird Technik in Erzählung verwandelt, Zutaten werden zu Poesie. Präzise Handgriffe formen Objekte, die so plötzlich in eine Geschichte verwandelt werden. Dabei bleibt immer eine Leerstelle: Den Moment der Transformation kann der Regisseur nicht zeigen. Was passiert auf dem Weg von der Küche zum Tisch, was macht aus Rhabarber, Spargel und Soße plötzlich ein Gedicht? Eine eigene Sprache, die zur höheren Gastronomie gehört wie sonst nur etwa in die Sphäre der Galerien und Vernissagen?

Es ist eine kleinteilige Welt, voll von behänd arrangierten Kräutern und Saucenkleksen. Der Teller als Leinwand. Das fordert Wisemans Weltsicht heraus, die sonst eher Räume als Detailaufnahmen kennt. Seine Kamera ist agiler als üblich und bewegt sich manchmal sogar mit, statt starr und stur aufzuzeichnen. Natürlich trifft er auf einen Bereich des Lebens, der gerade in den letzten Jahren umfassend bebildert wurde. Filme wie The Menu, Serien wie The Bear oder Top Chef, Hell‘s Kitchen, Chef’s Table und Co. produzieren einen umfangreichen Katalog wundervoller Essensbilder. Mit dem Food Network gibt es in den USA sogar einen eigenen Fernsehsender, der 24 Stunden am Tag Kreationen und Rezepte präsentiert.

Und auf Instagram oder TikTok halten ganze Generationen jede bemerkenswerte Mahlzeit in Bild und Ton fest. Längst kreieren Gastronomen besonders fotogene Gerichte, die in den sozialen Medien zum Trend heranreifen sollen. Und weil Würfelcroissants oder umgestülpte Teilchen für lange Schlangen sorgen, führen selbst die US-Fast-Food-Restaurants einen Kampf um absonderliche Artikel, der im New Yorker als „Stunt-Food Wars“ bezeichnet wurde. Der menschliche Blick formt und verformt Nahrungsmittel mehr als je zuvor. Nähr- und Schauwerte.

Wiseman will in diesen Reigen nicht einstimmen. Ihm geht es nicht um Food Porn, an dem sich das Auge gierig sattsieht. Der Film ist keine Ersatzhandlung für den Besuch im Sternerestaurant. Auch das dramaturgische Küchen-Klischee der schreienden High-Performer im Dauerstress will er nicht bedienen. Seine Sehnsucht nach präzisen festgehaltenen Prozessen führt ihn zuerst zu den Zutaten, dann in Meetings und Planungsgespräche, zu den Produktionsstätten, dann in die Küchen und erst ganz zuletzt, nach mehreren Stunden, zu den fertigen Gerichten. Und auch dann produziert sein Kino nicht die mittlerweile vertraute Ästhetik voll von Zeitlupenaufnahmen und mit Sprühwasser frisch gezaubertem Gemüse.

Das konsumierbare Objekt wird zum Abstraktum, vernebelt von einer Wolke aus Sprache. Es wird mehr geredet als tatsächlich gegessen. Nahrung zu intellektualisieren ist ein Privileg, für das man gerne zahlt. Entweder bekommen die Gäste von Kellnern und Köchen die narrative Dimension ihrer Mahlzeit vermittelt, oder sie fachsimpeln aus eigenem Antrieb über Bouquet und Kristallisation. Wiseman hört schon immer besonders dann genau zu, wenn Menschen die Geschichten hervorholen, die Institutionen über sich selbst erzählen. Er ist als Regisseur gewiss Materialist und Pragmatiker, doch das Unbewusste, das all diese großen Verbände zusammenhält, hat ihn schon immer fasziniert. Und die Haute Cuisine sieht sich in einer Welt des Mangels sichtlich genötigt, ihre Existenz zu rechtfertigen. So dokumentiert er die Bemühungen der Restaurants, möglichst nachhaltig zu arbeiten und besondere Zutaten zu finden. Geld verwandelt Exzess in Distinktion.

Wiseman hat immer wieder auch kreative, musische Orte besucht, doch erst die Koch-Dynastien entdeckt er als Projektionsfläche für seine Arbeit. Vater Michel grübelt, was er weitergeben kann, seine Nachfolger müssen ihre eigenen Pfade ins Dickicht schlagen. Der Film endet mit einem Monolog des alten Kochs über neue Ideen, die aus vertrauten Mustern entstehen können. Im Alter von 93 macht sich der Filmemacher spürbar Gedanken über sein Vermächtnis.

Menus Plaisirs - Les Troisgros (2023)

Ein Dokumentarfilm von Frederick Wiseman über das angesehene französische Restaurant „La Maison Troisgros“ im Department Loire das seit mehr als fünf Jahrzehnten drei Michelin-Sterne führt.

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