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In „Langue Étrangère“ zeigt Claire Burger einen Schülerinnenaustausch zwischen einer Französin und einer Deutschen – und konfrontiert uns mit den Problemen der Gen Z.

Langue Étrangère (2024)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Eine deutsch-französische Freundschaft

Dieser Film reißt viele Themen an. Das könnte ihm zum Vorwurf gemacht werden. Doch jeder einzelne Riss ist schmerzhaft, geht tief ins Fleisch hinein. In Zusammenarbeit mit Léa Mysius („Ava“) schildert die französische Drehbuchautorin und Regisseurin Claire Burger in „Langue Étrangère“ eine Coming-of-Age-Story im Hier und Jetzt. Sie lässt uns spüren, wie beängstigend es ist, in der heutigen Zeit erwachsen zu werden. Krieg und Klima, Rechtsruck und Radikalisierung. Und dann obendrein eben noch der übliche Trouble mit den Eltern, der Liebe, der Selbstfindung.

Seit das Kino das erzählerische Potenzial in den Nöten adoleszenter Menschen entdeckt hat, sehen wir immer wieder, wie sich Teens gegen (vermeintliche) Autoritäten auflehnen. Mama und Papa, Lehrer:innen, Staatsdiener:innen. Die haben alle überhaupt kein Verständnis; die waren offenbar niemals jung oder haben es schlichtweg verdrängt und vergessen. Denn sie haben ja Jobs, ein Haus mit Whirlpool, eine Fassade, die sie aufrechterhalten müssen – da bleibt für Rebellion kein Raum mehr. Aber das juvenile Aufbegehren, die Gründe und Anlässe wandeln sich auch. Das macht dieses Werk in diversen kleinen und großen Momenten deutlich. Da muss sich nicht der Nachwuchs, sondern die Elterngeneration dafür rechtfertigen, im Haus zu rauchen. Oder sich „ein wenig“ Alkohol zu gönnen.

Gewiss wäre es schön, wenn der erste Gefühlsaufruhr das Einzige wäre, worum sich die Französin Fanny (Lilith Grasmug) und die Deutsche Lena (Josefa Heinsius), beide 17 Jahre alt, kümmern müssten. Damit hätten sie ganz sicher schon genug zu tun. So ist das Leben allerdings nicht. Es passiert (leider) immer verdammt viel gleichzeitig. Und Langue Étrangère schafft es, diesen permanent überfordernden Eindruck treffend abzubilden. Fanny reist im Rahmen eines Austauschprogramms von Straßburg nach Leipzig. Organisiert hat das alles ihre Mutter Antonia (Chiara Mastroianni), die als Dolmetscherin für die Europäische Union tätig ist. So richtig Bock haben die beiden Jugendlichen eigentlich nicht. Allmählich kommen sie sich jedoch näher – erst emotional, dann auch körperlich.

Die Sequenzen, in denen sich diese Zuneigung entwickelt, sind wunderbar – nicht zuletzt dank der Chemie zwischen den jungen Talenten Lilith Grasmug und Josefa Heinsius. Wenn das Duo mit einem Kumpel von Lena (gespielt von Yuri Völsch) im nächtlichen Garten herumalbert und die ersten Küsse ausgetauscht werden, hat das etwas Magisches. „Ist das ein Traum?“, fragt Lena an anderer Stelle, als die beiden zu zweit einen intimen Augenblick erleben. Die Kamera von Julien Poupard findet einnehmende Bilder, um das Aufregende, Kribbelige am Frisch-verliebt-Sein einzufangen.

Und dann ist da, wie bereits gesagt, der ganze Ärger. Nina Hoss verkörpert Lenas Mutter Susanne – und sie macht das, wie so oft, unfassbar großartig. Susanne ist anstrengend. Sie hat ihren Eltern (Hermann Beyer und Christa Rockstroh), die nun zu Besuch kommen, nur so „mehr oder weniger“ verklickert, dass sie mit ihrem Ex Tobias (Jakob Diehl), der zwei kleine Kinder hat, nicht mehr zusammen ist. Aber es könnten ja einfach alle so tun, als ob – das werde bestimmt total lustig. Spoiler: wird es nicht. Jedenfalls nicht für die Beteiligten; für uns als Zuschauer:innen hat es durchaus etwas Tragikomisches.

Fanny will derweil ihre Halbschwester finden, die sich wohl dem Schwarzen Block angeschlossen hat. Lena möchte ihr dabei helfen. In der zweiten Hälfte von Langue Étrangère sind wir in Frankreich; nun lernt Lena die Dynamiken in Fannys Zuhause kennen. Auch hier brodelt es. Und der Film webt diese unterschiedlichen Konfliktherde zu einem spannenden Porträt des Jungseins in den 2020er Jahren zusammen. „Es ist schwierig“, heißt es in einem Gespräch. Das war es natürlich immer (und wird es wohl auch immer bleiben). Claire Burger erfasst indes sehr präzise, was die spezifische Schwierigkeit in der aktuellen Situation ist. Der Coming-of-Age-Prozess ist zeitlos, aber jede Zeit verdient ihre individuelle Darstellung.

Gesehen auf der Berlinale 2024.

Langue Étrangère (2024)

Ein Sprachaustausch zwischen Frankreich und Deutschland bringt Fanny und Lena, zwei 16jährige Teenager, in Leipzig zusammen. Sie könnten Freundinnen werden, doch das fällt beiden schwerer, als es auf den ersten Blick scheint. (Quelle: Port au Prince)

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