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Im Stil von „Searching for Sugar Man“ schickt die spanische Regisseurin Paloma Zapata eine junge Journalistin auf die Suche nach einer erst sehr bewunderten und dann verschwundenen Flamenco-Tänzerin.

La Singla (2023)

Eine Filmkritik von Reinhard Kleber

Im Bann der Flamenco-Rhythmen

Die junge Journalistin Elena, verkörpert von Helena Kaittani, begeistert sich in Sevilla für den Flamenco-Tanz. Von der erfahrenen stummen Tanzlehrerin Maria Ángeles lässt sie sich zeigen, wie man mit Gebärdensprache Flamenco tanzt. Von ihr hört sie auch zum ersten Mal von Antonita Singla, einer legendären Flamencotänzerin, die ebenfalls stumm war. Als junge Frau eroberte sie erst die Flamenco-Lokale in Spanien und tourte dann mit großem Erfolg auch durch Europa. Doch vor mehr als fünfzig Jahren verschwand sie spurlos. Elenas Neugier ist geweckt. Im Internet entdeckt sie alte Schwarzweißvideos von „La Singla“, so der Künstlername der Tänzerin, und ist begeistert von deren Energie und Expressivität. Sie beschließt, einen Artikel über Antonita zu schreiben und stürzt sich in Recherchen. Elena spürt Zeitzeugen auf, und Javier Banegas, den ehemaligen Manager von La Singla, der ihr Kisten mit Dokumenten, Fotos, Programmheften und Zeitungsausschnitten überlässt. 

Die Puzzleteile ergeben allmählich ein klareres Bild. Antoñita Singla wurde 1948 in eine Roma-Familie in der Barackensiedlung von Somorrostro an der Küste Barcelonas geboren. Vermutlich durch eine Mengitiserkrankung verlor sie als Kleinkind das Gehör und lernte erst mit etwa 16 Jahren, richtig zu sprechen. Schon früh zeigte sich ihr tänzerisches Talent, das die Mutter förderte. Den Takt der Musik erschloss sich das Mädchen durch das Beobachten der Gitarristen und der Trommler, das Händeklatschen ihrer Begleiter und das Vibrieren des Tanzbodens. 

Mit 12 trat sie erstmals in den Bars ihrer Heimatstadt auf, später auch in Madrid. Schon mit 17 Jahren wurde ihr nachgesagt, den Flamenco revolutioniert zu haben. Schon bald schlossen sich Auftritte auf Festivals und Tourneen in Deutschland und anderen europäischen Ländern an. Außerdem wirkte „La Singla“ in einigen Spielfilmen wie dem spanischen Tanzdrama Los Tarantos (1963) mit, das sogar in der Kategorie Besten Fremdsprachiger Film für den Oscar nominiert wurde. In ihren besten Tagen wurde sie als würdige Nachfolgerin der berühmten Flamenco-Ikone Carmen Amaya bezeichnet. Doch noch vor ihrem 30. Lebensjahr verschwand die Künstlerin spurlos. 

In Kommentaren zu den YouTube-Videos von „La Singla“ wird spekuliert, dass die Tänzerin vermutlich schon tot ist. Doch Elena lässt sich davon nicht entmutigen. Nach langer Suche schließlich findet sie tatsächlich Antoñita, die sich trotz schwerer Erkrankung auch zu einem Gespräch bereitfindet. Damit wird hier nicht zu viel verraten, denn der Ausgang ist leicht vorhersehbar und die biographischen Fakten sind im Netz leicht zu finden.

Die 1978 geborene Regisseurin Paloma Zapata, die nach etlichen Musikvideos 2016 das Sängerporträt Casamance: La banda sonora de un viaje und 2018 den musikalischen Dokumentarfilm Peret: Yo soy al rumba realisierte, wandelt unübersehbar auf den Spuren des oscargekrönten Dokumentarfilms Searching for Sugar Man. Dementsprechend will die Spurensuche spannend gestaltet sein, und manches wirkt dadurch konstruiert – beispielsweise ist es unglaubhaft, dass „La Singla“ völlig in Vergessenheit geraten sein soll, wenn die erste Google-Recherche auf Elenas Laptop bereits mehr als 80.000 Treffer ergibt. Man darf Zapata aber zugutehalten, dass sie die Suche transparent gestaltet und die Zuschauenden auf die Schnitzeljagd mitnimmt. 

Dabei spürt sie eine Reihe aufschlussreicher Dokumente auf, die zum Beispiel auch interessante Schlaglichter auf die deutsche Musikgeschichte der Nachkriegszeit werfen. So holte der Jazzmusiker und Konzertveranstalter Horst Lippmann, der mit Fritz Rau eine der führenden Konzertagenturen der Bundesrepublik aufbaute, „La Singla“ bereits 1965 nach Deutschland. Dass die Tänzerin auch selbst ein Faible für den Jazz hatte, zeigt sich darin, dass der Posaunist Albert Mangelsdorff seinerzeit für sie das Jazz-Thema „Lass es niemals enden“ komponierte. Derlei interessante Informationshäppchen tragen den Film, und die vielen kurzen Ausschnitte von Auftritten der leidenschaftlichen Tänzerin machen Appetit, auch längere Tanzsequenzen von ihr anzuschauen. 

La Singla (2023)

Der Film erzählt die unglaubliche Geschichte von Antoñita „La Singla“, der Flamenco-Tänzerin, die in den 1960er Jahren Spanien und den Rest der Welt im Sturm eroberte. Sie ging mit Ella Fitzgerald auf Tournee, tanzte sogar für Dalí und trat im Olympia in Paris auf. Marcel Duchamp bewunderte sie und Jean Cocteau sagte über sie, sie „spuckte Feuer aus ihrem Mund und löschte es mit ihren Füßen“. Was diese Geschichte so anders und mystisch macht, ist die Tatsache, dass „La Singla“ durch eine Infektion ihr Gehör verlor und auf dem Höhepunkt ihrer Karriere plötzlich spurlos verschwand. (Quelle: Rise and Shine Cinema)

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