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In einem opulenten Film erzählt Alonso Ruizpalacios aus einer Küche im Herzen von Manhatten, wo sich die Kulturen mischen, necken, aneinandergeraten und sich verlieben. Er erzählt von Träumen, unerfüllten Sehnsüchten und der harten Realität, ein Einwanderer zu sein.

La Cocina (2024)

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Vom Träumen

„La Cocina“ beginnt mit einem Gefühl. Eines, das das Pochen, Rattern, Unsichersein vermittelt, das viele Menschen spüren müssen, die an einem neuen Ort, in einem neuen Land ankommen. Sie wissen nicht genau, wohin sie hingehen sollen, sie kennen niemanden und sich nicht aus, sprechen nicht die Sprache, wissen nicht um die Gepflogenheiten und Alltagsrituale und schwimmen erst einmal mit im Strom des neuen Zuhauses, werden getrieben, versuchen sich festzuhalten. Einen Grund unter ihren Füßen finden sie jedoch nicht.

Alonso Ruizpalacios, der schon mit Güeros, Museo und A Cop Movie auf der Berlinale eingeladen war, hat nun in Berlin seinen neuesten Film vorgestellt, der ein Theaterstück von 1957 adaptiert: The Kitchen des Briten Arnold Wesker, das eigentlich in London spielt. Ruizpalacios, der selbst schon als Tellerwäscher gearbeitet hat, verlegt die Geschichte ins pulsierende New York einer unbestimmten Zeit, Handys scheint es noch nicht zu geben, eine Maschine, die die Bestellungen der Restaurant-Gäste sammelt, allerdings doch, und so wirkt das alles ziemlich aktuell, was da auf der Leinwand zu sehen ist, obwohl es in einer filmischen Sprache erzählt ist, die eher in die Goldene Zeit Hollywoods passt: opulent, symbolträchtig, überladen in Schwarzweiß.

Erzählt wird aus der Küche dieses Restaurants, „The Grill“ am Time Square, also aus dem Mittendrin dieser ohnehin schon hektischen Stadt, und geschäftig, bisweilen chaotisch geht es auch in dieser Küche zu, die dem Film ihren Namen gibt und an viele andere erinnert, die man gerade auf den Leinwänden oder Bildschirmen sieht, in der Disney+-Serie The Bear etwa oder auch die Sterneküche in She Chef. Hierhin solle sie gehen, hat eine Nachbarin der jungen Estela (Anna Diaz) erklärt, dort arbeite ihr Sohn, Pedro (Raúl Briones), und könne ihr bestimmt eine gute Stelle vermitteln.

Und so begleiten wir Estela in dokumentarisch gedrehten Bildern auf ihrem Weg ins neue Leben, als Immigrantin in New York, wo sie Fuß fassen, Geld verdienen, eine Existenz aufbauen will. Wir beobachten mit Estela, wie es zugeht in diesem Betrieb, wo Manager Luis (Eduardo Olmos) ein Auge zudrückt und Estela einstellt ohne große Formalitäten, obwohl sie minderjährig und ohne Papiere ist. Mit Estela lernen wir die Küche und die Mitarbeiter:innen kennen, Nonzo (Motell Gyn Foster), der für die Desserts zuständig ist, den Pizzabäcker, die vielen Kellnerinnen und eben Koch Pedro, der sich gerne mit Max (Spenser Granese) anlegt.

Dann wechselt die Perspektive, Estela tritt in den Hintergrund, erinnert aber mit ihrem fest beobachtenden Blick immer wieder an die Sicht der Neuen. Im Zentrum stehen fortan Pedro und seine Beziehung zu Kellnerin Julia (Rooney Mara), eine Amerikanerin, eine Gringa, die er verehrt und liebt, die aber das gemeinsame Kind in ihrem Bauch abtreiben möchte. Und es wird schnell deutlich: Die beiden werden nie ein Paar sein können. Dabei changieren beide Figuren zwischen ganz tiefen Gefühlen, Verunsicherung und Härte, Unabhängigkeit und Hingabe.

Gerade in den Begegnungen mit Julia zeigt sich, dass Pedro, der sich sonst gerne rüpelhaft gibt und keinen Streit unausgefochten lässt, ein Romantiker ist, der sich gerne zurück in die mexikanische Heimat träumt, wo er gerne ein entspanntes und respektvolles Leben führen würde – mit Julia und dem gemeinsamen Kind. In der Pause nach der Mittagsschicht fragt er auch die anderen nach ihren Träumen, bevor er – zurück in der Küche – erneut Probleme an sich zieht, provoziert, immer kurz vor der Explosion steht. Die Erfüllung des American Dream, den gibt es schon lange nicht mehr.

Die Küche wirkt wie ein Mikrokosmos, der die Gesellschaft Amerikas in all ihrer Härte, mit dem Überlebenskampf der vielen Kleinen und dem Gewinn der wenigen Großen widerspiegelt. Und wie die Stimmung im Land aktuell brodelt, so tut sie es auch zwischen den Hierarchien, den verschiedenen Sprachen und Kulturen in der Küche. Ruizpalacios macht das deutlich an einer dem Theaterstück hinzugefügten Episode über einen fehlenden Betrag in der Kasse, was die ohnehin schon angespannte Atmosphäre zwischen Herd und Ofen weiter anheizt – bis alles überkocht und sprudelt, sogar der Getränkeautomat. Und das Chaos in einen kathartischen Showdown mündet.

Ruizpalacios erzählt das alles in eindrucksvollen Schwarzweißbildern (mit gelegentlichen Ausflügen ins Farbige), mit Ab- und Aufblenden, in immer wieder ungewöhnlicher Cadrage, die die Figur nicht ins Zentrum des Bildes rückt, sondern an den Rand stellt. So, wie alle hier am Rand einer Gesellschaft stehen und gefragt werden: „Was habt ihr eigentlich, was wollt ihr denn noch?“ Der Plot, das Figureninventar, die Dramatik – alles ist ein wenig überfrachtet, bewusst ästhetisiert, dicht, mit einem stimmungsvollen Sounddesign überzogen. Ein Film, der ein wenig aus der Zeit gefallen scheint und gerade deshalb an alte Zeiten erinnert und mit großer Wucht die Leinwand füllt. 

La Cocina (2024)

Mittagszeit im The Grill in New York, einer Touristenfalle, die an einem normalen Freitag wie heute Tausende von Kunden abfertigt. Aus der Kasse ist Geld verschwunden, und alle Angestellten werden befragt. Die meisten von ihnen sind illegal Eingewanderte, die um ihren Arbeitsplatz – den einzigen Platz, der ihnen hier zugebilligt wird – kämpfen, indem sie eine endlose Reihe von Gerichten zubereiten und versuchen, mit dem ständigen Strom von Bestellungen aus dem Speisesaal Schritt zu halten. Einer der Köch*innen ist Pedro, ein junger Mann aus Mexiko der mehr vom Leben erwartet, als der Job ihm bietet. Er ist ein Träumer und Unruhestifter und verliebt in Julia, eine amerikanische Kellnerin, die aber keine feste Beziehung mit einem Ausländer ohne Papiere eingehen will. Restaurantbesitzer Rashid hat versprochen, Pedro zu helfen. Doch als Pedro nun beschuldigt wird, das Geld gestohlen zu haben, und erfährt, dass Julia abgetrieben hat, sieht er rot und steuert auf eine Tat zu, die das Fließband der Küche ein für alle Mal zum Stillstand bringen wird. La Cocina basiert auf dem gleichnamigen Bühnenstück von Arnold Wesker und ist eine tragikomische Hommage an die oftmals unsichtbaren Menschen, die unser Essen zubereiten. (Quelle: Berlinale)

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