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Wie wollen psychisch Kranke behandelt werden? Eine Frage im doppelten Sinne – bezogen auf die Behandlung durch einen Arzt, oder auf den Umgang der Mitmenschen. Dieser intime Dokumentarfilm geht ihr nach.

Irre oder Der Hahn ist tot (2023)

Eine Filmkritik von Melanie Hoffmann

Einfach mal normal sein

Dass sich Menschen zum „Mittagstisch“ treffen, ist nicht so außergewöhnlich. In Freiburg gibt es aber einen Mittagstisch, an dem nur psychisch Kranke teilnehmen. Jeder kocht mit, jeder hilft mit, jeder spricht über seine Themen, jeder hört den anderen zu. Es ist erstaunlich, wie offen die Protagonisten von ihren Leiden sprechen, die heute oft noch so gründlich tabuisiert sind. Von „kaputten Leben“, von vertanen Chancen, von der Arbeitsstelle, die man nicht mehr hat. Eine psychische Erkrankung lässt den Patienten oftmals viel schneller und tiefer abrutschen als irgendein anderer Schicksalsschlag. Was die Gesellschaft dagegen unternimmt, ist sehr wenig. So wie die Betroffenen vermeintlich selbst verschuldet abgerutscht sind, so sollen sie sich in Selbsthilfe retten.

Die Dokumentation gibt einen intimen Einblick in die Gruppe. Erstaunlich offen berichten einige Protagonisten von ihren Krankheitsbildern und ihrem Leidensweg. Die Regisseurin Reinhild Dettmer-Finke erarbeitete sich dieses Vertrauen mit geduldiger Anwesenheit. Über ein Jahr besuchte sie immer wieder die Einrichtung und besuchte auch einige der Besucher in ihren Wohnungen. So entstand ein besonderer Film, der zwar nicht dem dokumentarischen Ideal des unsichtbaren Regisseurs dient, aber uns lebendig schildert, wie es heutzutage ist, in Deutschland psychisch zu erkranken.

Nach und nach kristallisiert sich heraus, dass die Krankheiten ein Teil der Menschen sind und bleiben. Die Kranken haben sich damit arrangiert, diese nie loszuwerden. Es geht also in dieser Form der Therapie darum, wie man mit den Krankheiten leben kann. Natürlich wird auch der Umgang mit Medikamenten thematisiert.

Der Film droht von Zeit zu Zeit, in eine Nabelschau abzurutschen. Das liegt vor allem an der großen Mitteilsamkeit einiger Protagonisten. Fast immer gelingt es durch geschickte Szenenwahl und Schnitte, das Interesse aufrechtzuerhalten, ohne allzu sehr abzugleiten. Es bleiben aber Einzelschicksale, was den Film damit nur eingeschränkt für eine allgemeine Empfehlung in der Behandlung mit psychisch Kranken eignet. Für einen persönlichen Umgang mit ihnen allerdings sehr wohl.

Irre oder Der Hahn ist tot (2023)

In einer Altbauetage mitten in Freiburg treffen sich regelmäßig Menschen zum Austausch beim „Mittagstisch“ und im „Club 55“ der Freiburger Hilfsgemeinschaft, der zweitältesten Einrichtung für psychisch Erkrankte in Deutschland. Die meisten Besucher*innen waren jahrzehntelang immer wieder in der Psychiatrie. In beeindruckender Offenheit sprechen sie von den dort gemachten Erfahrungen, vom Leben mit einer psychischen Erkrankung, ihrem Alltag und von ihrer häufig prekären Lebenssituation. Der Film stellt auf einfühlsame Weise psychisch Erkrankte aus unserer Mitte vor. Betroffene erzählen, wie ihre Krankheit plötzlich in ihr Leben tritt. Wie alles aus den Fugen gerät, wie ihre Mitmenschen reagieren und sich Gewohnheiten, Lebenseinstellungen, Ziele verändern. (Quelle: Cine Global)

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