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Radu Jude fängt in einem apokalyptischen Kaleidoskop den grotesken Zynismus einer digitalisierten Arbeitswelt ein.

Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt (2023)

Eine Filmkritik von Sebastian Seidler

Obszöne Montagen

Radu Jude hat es erneut getan. Wie kaum einem anderen Filmemacher der Gegenwart gelingt es dem Rumänen immer wieder, Spielfilm, Essay und politischen Kommentar zu einer eigenwilligen, anspruchsvollen und zwischen Ironie und ernsthafter Anklage eingespannten Form zu verschalten. Das ist – man kommt nicht umhin, dies zu betonen – in seiner Radikalität absolut einzigartig.

Bereits der Berlinale-Gewinnerfilm Bad Luck Banging or Loony Porn war in seiner flirrend nervösen Attacke auf die Bigotterie ein im wahrsten Sinne höllischer Spaß. Weil ein privater Amateurporno einer Lehrerin im Netz landet, muss sie sich einem Tribunal in ihrer Schule stellen. Den tabuisierenden Umgang mit weiblicher Sexualität bei offensichtlich patriarchaler Macho-Kultur zerlegte Jude in seine Einzelteile. Der Mittelteil des Films ist ein filmischer Essay, ein ABC über das Begehren und die männliche Dominanz. Am Ende schließlich wird das Maul der Doppelmoral mit Dildos gestopft: Radu Jude schreckt nicht vor drastischen Bildern zurück, ist direkt und gleichzeitig verspielt, schmiegt sich an, nur um dann brutal umzuschlagen.

Do not expect too much from the end of the world hat einen ähnlichen Ausgangspunkt. Angela (Ilinca Manolache) ist völlig überarbeitet: Schlaf ist ihre Sehnsucht. Aber sie muss Geld verdienen. Als Produktionsassistentin muss sie sich durch den quälend-dichten Verkehr von Bukarest quälen, um Menschen für einen Werbefilm über Arbeitssicherheit zu casten. Auftraggeber ist eine weltweit operierende Firma aus Österreich, die ihr Image aufpolieren will. Gesucht werden Opfer von Arbeitsunfällen, die sich gut für die Agenda der Firma einspannen lassen. Dabei ist es vor allem das Geld, das sie locken soll. Angela wandert durch die Welt der Ärmsten, die längst vom Strom des Kapitals abgekoppelt sind.

Dieser narrativen Linie fügt Jude nun mehrere Ebenen hinzu, montiert ein wildes, hochenergetisches Kaleidoskop unserer modernen Welt. Um Druck abzulassen, postet Angela Videos im Internet: Sie nimmt sich selbst auf, wobei sie sich mithilfe eines Filters hinter einem prolligen Männergesicht versteckt. Immer wieder brechen diese obszön-sexistischen Tiraden in den Film ein, die gleichzeitig einen bizarren Witz entfalten und doch von erschreckender Drastik sind. Da wird ein zähflüssiger Chauvinismus ausgekippt, ein digitaler Spiegel aufgezogen, in dem sich toxische Männlichkeit in ihrer Überhöhung bricht.

Diese endlosen Autofahrten erhalten zudem eine gleichsam historische wie filmhistorische Einbettung. Immer wieder springt Do not expect too much from the End of the World in Ausschnitte eines rumänischen Films aus den 80ern: Angela merge mai departe (1981) von Lucian Bratu. Dieser handelt von einer Taxifahrerin, die sich selbstbewusst in einer Welt der Männer behauptet. Dabei verdeutlicht Jude den Wandel in der rumänischen Gesellschaft, indem die Routen der beiden Frauen sich ständig im Möglichkeitsraum treffen. Der eine Film umschlingt den anderen und bricht dann als ernsthafte Fiktion vollständig ein, wenn Angela in einer Wohnung auf eben jene Taxifahrerin aus dem Film trifft, deren Biografie wir ausschnitthaft bereits miterleben durften.

Andere Filme würden es bei dieser komplexen Anordnung belassen. Nicht so Radu Jude. Im letzten Drittel spielt Nina Hoss die Marketingchefin des österreichischen Konzerns, die zu allem Überfluss Goethe heißt und die Logik des Neoliberalismus vollständig verinnerlicht hat: das Böse der ökonomischen Vernunft. Man kann sich ausmalen, dass der Dreh dieses Videos zu einer zynischen Farce verkommt, die sich auch noch in einer einzigen Einstellung vor unseren Augen in die zermürbende Länge zieht.

Do not expect too much from the End of the World ist über alle Maße komplex, ohne dabei anstrengend oder gar belehrend zu sein. Jude beobachtet, zeigt und legt die Schichten eines Prozesses frei: Alles muss immer in Bewegung sein und endlos wachsen. Die Sozialen Medien sind hier nur die perverse Erweiterung einer Welt, die sich ins Lächerliche verzerrt, nur um mit all diesen Lächerlichkeiten weiter Geld zu verdienen.

Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt (2023)

Eine völlig überarbeitete und unterbezahlte Produktionsassistentin fährt kreuz und quer durch Bukarest, um Probeaufnahmen für einen Film zum Thema Arbeitssicherheit zu machen, dessen Auftraggeber ein großer multinationaler Konzern ist. Als einer der Interviewten mit seinen Worten einen Skandal aufdeckt, ist sie dazu gezwungen, den kompletten Film noch einmal völlig neu zu denken.
 

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