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Ein Radio, das Tote wiederauferstehen lässt, ein Schlaf, der Monate andauert, ein anderer, der die Schläferin an einen anderen Ort transferiert – in Lisa Gertschs Film „Electric Fields“ sorgen unerklärliche Geschehnisse für einen ganz eigenen Zauber des Mysteriösen.

Electric Fields (2024)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

„Wir leben in einer seltsamen Welt“

Ein Radio, das zufällig und ohne jede Erklärung einen Toten aufweckt, eine Glühbirne, die ebenfalls ohne jede Erklärung für die Ewigkeit gemacht zu sein scheint, ein völlig schief gelaufenes Bewerbungsgespräch, ein Besuch in einem Garten, in dem die Zeit ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten gehorcht, ein amouröses Treffen eines heimlichen Liebespaares und ein nächtliches Kneipengespräch – in ihrem Episodenfilm „Electric Fields“ lässt die Schweizer Regisseurin Lisa Gertsch Weltausschnitte aufeinanderprallen, die sie zu einem Kompendium der Absurdität des Alltäglichen bündelt, das stets überraschend, aber nicht in allen Einzelteilen gleichermaßen überzeugend ist. Ein Problem, das sich bei einem episodischen Werk wohl kaum je vermeiden lässt.

So willkürlich, fast wahllos und unterschiedlich die einzelnen Episoden auf den ersten Blick auch wirken mögen, so eint sie doch mehr, als es scheint. Besonders deutlich wird dies beim Übergang der ersten Episode zur zweiten: Der Elektriker, der mit einer niemals verlöschenden Glühbirne konfrontiert wird, repariert vorher ein Radion, das jenem gleicht, das zuvor den Verstorbenen zu neuem Leben erweckte. Auch die Musik ist ein verbindendes Element: Immer wieder erklingen Walzer von Frédéric Chopin, die schon ein sehr genaues Hinhören und eine tiefe Kenntnis vom Schaffen des Klaviervirtuosen erfordern, um sie voneinander unterscheiden zu können. Und zuletzt schleichen sich immer wieder italienische Sätze in die Dialoge ein, zunächst völlig willkürlich, dann aber zielstrebig auf jene Episode zulaufend, in der die Handling sich mit einem Wimpernschlag aus der Schweiz nach Rom in eine nächtliche Bar verlagert. Und nicht zuletzt sind alle Episoden auch Geschichten von Menschen, deren Leben durch die Umstände und Bedingungen der Außenwelt aus den Fugen gerät und seltsame Wendungen nimmt.

Entfernt fühlt man sich bei Electric Fields an die Filme Roy Anderssons erinnert, doch es fehlt die extreme Künstlichkeit der Welten, die der schwedische Großmeister erschafft. Gertschs Kosmos ist alltäglicher, gegenwärtiger, obwohl wir auch hier eine Welt zu sehen bekommen, die ein wenig aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Und das liegt nicht allein an den Schwarzweiß-Aufnahmen und dem ungewöhnlichen Bildformat von 1,66:1, die dem Film die Anmutung eines Dokuments aus vergangenen Zeiten geben.

Überhaupt spielt Zeit in dem gerade mal 80 Minuten langen Film immer wieder eine zentrale Rolle – und damit auch die Unvermeidbarkeit und Unendlichkeit des Todes, der hier bei einigen Geschichten ganz selbstverständlich am Anfang oder am Ende des Geschehens steht. Just im Zentrum des Films steht die Zeit dann plötzlich still, dehnt sich ein Moment in eine gefühlte Ewigkeit aus, während wir als Publikum dem Verschwinden eines Mannes in einem See und dem Aufkommen eines Sturmes zusehen.

Die titelgebenden elektrischen Felder sind vereinfacht erklärt unsichtbare Kraftfelder, die durch sich gegenseitig anziehende und abstoßende Ladungen gebildet werden. Die vielleicht anschaulichste Manifestation eines solchen elektrischen Feldes ist das Theremin, jenes berührungslose Instrument, das allein durch die Bewegung der Hände in einem bestimmten Raum Töne erzeugt, die fremdartig anmuten und mit denen sich dennoch mit viel Übung vertraute Melodien erzeugen lassen. Und vielleicht beschreibt das die Wirkweise von Lisa Gertschs rätselhaftem, melancholisch-heiteren Episodenfilm ganz treffend: Wir verstehen nicht genau, was hier eigentlich passiert und wie das alles zusammenhängt, die Melodie aber ist uns aus unseren eigenen Leben bestens vertraut in all der Gleichzeitigkeit von traurigen Momenten und heiteren, von Absurdem und Banalem, Unerklärlichem und Rätselhaftem.

Gesehen auf dem Filmfestival Max Ophüls Preis 2024.

Electric Fields (2024)

Ein Mann verschwindet im Wald. Eine Jahreszeit geht verloren. Liebende überwinden die Zeit. Und als die Menschen eines Morgens aufwachen, ist nichts mehr, wie es war. Unerklärliche Dinge geschehen: Ein Radio, das Tote zum Leben erweckt, eine Glühbirne, die nicht aufhören will zu leuchten, und eine Zimmerpflanze, die wunderbar zuhören kann. Die Verschiebung im Regelwerk der Welt geht durch alle Räume der Gesellschaft und lockt die Figuren an fremde Orte, wo sich für sie neue Wege auftun. (Quelle: Max Ophüls Preis 2024)

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