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In dieser kunterbunten, fantasievollen Coming-of-Age-Geschichte mit kindgerechtem Tiefgang, verbringt die 12-jährige Sofija aus Belgrad ihre Ferien auf der kroatischen Insel Hvar – unter dem strengen Blick ihrer Großmutter.

Der Sommer, als ich fliegen lernte (2022)

Eine Filmkritik von Stefanie Borowsky

Sofijas sensationeller Sommer

Ferien mit Oma? Darauf hat die 12-jährige Sofija (wunderbar gespielt von Klara Hrvanović) gar keine Lust. Viel lieber würde sie mit ihrer besten Freundin Julijana (Nađa Mazalica) und deren Bruder Marko (Pavle Gajić) ins Zeltlager fahren und die To-do-Liste voller Abenteuer abhaken, die sich die Freundinnen für diesen Sommer überlegt haben. Küssen ist ein ganz wichtiger Punkt auf der Liste und Marko, der coolste Junge im ganzen Freibad, hat heute einen kurzen Satz zu Sofija gesagt – mehr als je zuvor! Doch Sofija hat keine Chance. Statt mit Julijana witzige Selfies zu machen und dabei heimlich für Marko zu schwärmen, findet sich die junge Belgraderin kurz darauf nebst ihrer strengen Oma Marija (Olga Odanović) im Bus nach Kroatien wieder.

Schon auf der Fahrt zur Insel Hvar, auf der Sofijas Großmutter aufgewachsen ist und es nach Salz, Pinien und Lavendel riecht, geht die resolute Rentnerin, die laut schnarcht und noch lauter meckert, ihrer Enkelin, die den Zuschauer:innen ihre schlagfertig-amüsanten Gedanken aus dem Off mitteilt, tierisch auf die Nerven. Auf der Insel angekommen erwartet Sofijas Großtante Luce (Snježana Sinovčić), die Althippie-Schwester ihrer Oma, die beiden Reisenden. Na toll, Sommer mit zwei verrückten Großmüttern und weit und breit kein Strand in Sicht! Wie soll Sofija hier nur die Punkte auf der – immer wieder eingeblendeten – Sommerliste erledigen, eine coole Clique finden zum Beispiel oder Selfies für Instagram machen? Ohne Freund:innen und ohne WiFi langweilt Sofija sich zu Tode.

Ihre nörgelnde, unnachgiebige Großmutter lässt Sofija nicht aus den Augen, stellt sie vor anderen Jugendlichen bloß – und schmiert ihr ständig ohne Vorwarnung Sonnencreme ins Gesicht. Doch die Oma, die Sofija alles verbietet, was Spaß macht, hat Geheimnisse. Wer ist die dritte Person, die sie aus einem alten Foto mit ihrer Schwester herausgerissen hat? Einem Mann namens Nikola (Žarko Laušević) geht Oma Marija auf der Insel konsequent aus dem Weg – und dann hat sie auch noch ein Date mit einem Unbekannten. Sofijas Neugier ist geweckt. Gemeinsam mit Luka (Luka Bajto), den sie im Hafen kennenlernt, spielt sie Detektivin – und stößt auf ein lange gehütetes Familiengeheimnis. Kann dieser Sommer doch noch zur Sensation werden – und wie steht es um Sofijas ersten Kuss?

Mit Der Sommer, als ich fliegen lernte inszeniert der in Südosteuropa erfolgreiche Regisseur Radivoje Andrić (Wenn ich groß bin, werde ich ein Känguru, 2004) eine fantasievolle, farbenfrohe und temporeiche Coming-of-Age-Geschichte nach dem Drehbuch von Ljubica Luković (Publikumspreis für Schnabel (Kljun) im Rahmen von Canneseries 2021), das wiederum auf dem Roman der serbischen Kinder- und Jugendbuchautorin Jasminka Petrović basiert. Auf sommerlich-leichte und dennoch nicht zu oberflächliche Weise verhandelt Radivoje Andrić in seinem Film Freundschaft, die erste Verliebtheit, Liebeskummer und familiäre Beziehungen und schneidet auf kindgerechte Art auch den Konflikt und die Trennung einer Familie aufgrund der Jugoslawienkriege sowie das Thema Tod an.

Die auf der kroatischen Insel Hvar gedrehten Bilder am und im Wasser (Director of Photography: Dušan Joksimović), in dem sich Sofija besonders frei fühlt, und die Songs, u. a. Ća nindir mira nimon, gesungen von der Gego & Picigin Band aus Hvar, und Osmijeh, interpretiert von den serbischen Musikerinnen Tara und Bojana Vunturišević, transportieren Urlaubsgefühle und unterstreichen den fröhlichen und auch in tragischen Momenten optimistisch bleibenden Grundton des Films, den ein kroatisch-serbisches Filmteam gemeinsam realisierte.

Die klassische Verbindung zwischen einer Reise und dem Erwachsen(er)werden der Protagonistin findet sich auch in Der Sommer, als ich fliegen lernte. Wie im Coming-of-Age-Film üblich, wächst die junge Heldin Sofija an ihren Erfahrungen. Dabei symbolisieren surreal-fantastisch anmutende Szenen Sofijas Sorgen. So verwandelt sich etwa die vorwitzige Spinne neben ihrem Bett, die sich immer dann neben Sofija abseilt, wenn sie schlafen will, in Sofijas Fantasie in ein riesiges Monster, das ihre Großmutter aufgefressen hat, und ihre kaum sichtbaren Beinhaare sehen für Sofija, die sich unsicher in ihrem Körper fühlt, aus wie dichtes Fell. Doch Sofija gelingt es, ihre Ängste zu überwinden, Zweifel an sich selbst loszulassen und schließlich sogar buchstäblich zu fliegen.

Der Sommer, als ich fliegen lernte, der 2022 u. a. den European Children’s Film Association Award auf dem internationalen Kinder- und Jugendfilmfestival BUFF in Malmö gewann, wartet mit einem starken Schauspielensemble auf. Doch die junge Hauptdarstellerin Klara Hrvanović trägt den Film mit ihrer glaubhaften, sensiblen und zugleich starken und humorvollen Darstellung der Sofija. Regisseur Radivoje Andrić begegnet seiner jungen Heldin dabei immer auf Augenhöhe, nimmt sie ernst und bleibt nah an ihr und ihrer Perspektive.

Es macht Spaß, der sympathischen Sofija dabei zuzusehen, wie sie auf ihre kindlich-rebellische und beharrliche Art die seit Jahrzehnten entfremdete Familie wieder zusammenführt – und dabei ihrer Oma in ihrer Sturheit und Direktheit viel ähnlicher ist, als sie zugibt. Im europäischen Kinderfilm gibt es nach wie vor deutlich mehr männliche Protagonisten als weibliche. Forsche, kluge und rebellische Mädchen wie Sofija, die selbstbewusst für sich einstehen, auch wenn das nicht immer leichtfällt, sollten viel häufiger auf der Leinwand zu sehen sein.

Der Sommer, als ich fliegen lernte (2022)

Eine Familiengeschichte, erzählt aus der Perspektive der kleinen Tochter, die einen Schwellen-Moment im Leben durchschreitet: Der Sommer, als ich fliegen lernte beschreibt den unmerklichen, aber doch alles verändernden Übergang der Kindheit in ein neues, erwachseneres, aufregenderes Alter.

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