Coffee Beans for Life – Mein Überleben in Kolbuszowa

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die Rückkehr in ein altes Leben

Norman Salsitz ist ein ganz normaler älterer Herr, der, wenn man ihm auf der Straße begegnen würde, kaum für Aufsehen sorgen dürfte. Und doch hat Norman Salsitz eine außergewöhnliche Geschichte zu erzählen, die auf keinen Fall in Vergessenheit geraten darf – die Geschichte seines früheren Lebens.
Norman Salsitz wurde im Jahr 1920 als Naftali Saleschütz im südpolnischen Kolbuszowa geboren und wuchs dort auf. Nach dem Überfall Deutschlands auf Polen im Jahr 1939 musste er wie die meisten Glaubensgenossen in das Getto ziehen – sofern sie nicht gleich den Vernichtungslagern zugeführt wurden – und lebte dort bis 1942, ehe ihm die Flucht gelang. Gemeinsam mit 125 anderen Flüchtlingen lebte er in den Wäldern – sommers wie winters – auf der ständigen Flucht vor der SS und polnischen Bauern, aus der Umgebung, die regelrechte Treibjagden auf Juden veranstalteten. Doch es gab auch Polen, die ihm halfen, erinnert sich Norman Salsitz, und manchmal war es schlichtweg Glück, dass er überlebte. So war sein Tod bereits beschlossene Sache und das Grab schon ausgehoben, als sich Salsitz durch ein paar Kaffeebohnen freikaufen konnte. Doch der Preis war hoch, denn an seiner Statt wurde nun ein anderer Insasse des Gettos erschossen. Überhaupt zeigt der Film auch, wie leicht aus jüdischen Opfern aus reiner Notwehr auch Täter werden konnten – denn es waren nicht allein die Deutschen oder polnische Antisemiten, die Jagd auf Juden machten, selbst der polnische Widerstand trachtete ihnen nach dem Leben, wenngleich aus ganz anderen Gründen: so befürchteten die Untergrundkämpfer in den letzten Monaten des Krieges Verrat seitens der Juden an die immer weiter vorrückende Rote Armee. So kam es auch, dass Naftali schließlich einen Polen tötete der seinerseits versucht hatte, ihn umzubringen.

Die Erlebnisse in seiner Heimat haben Norman Salsitz niemals losgelassen. Unmittelbar nach dem Krieg trat er in den pro-kommunistischen polnischen Sicherheitsdienst ein, um nach den Feinden von einst zu suchen und Rache an ihnen zu nehmen. Ende des Jahres 1945 schließlich floh er aus Polen nach Deutschland und organisierte von dort aus Hilfsaktionen für Juden, die illegal nach Palästina einreisen wollten. Im Jahr 1947 emigrierte er gemeinsam mit seiner Frau Amalie in die USA. Nach über sechzig Jahren hat sich Norman Salsitz alias Naftali Saleschütz noch einmal nach Kolbuszowa begeben, um sein vergangenes Leben Revue passieren zu lassen und noch einmal Spuren der Vergangenheit zu entdecken. So besucht er unter anderem die Nachkommen jener Familie, die ihn unter Lebensgefahr versteckte und gesund pflegte und er konfrontiert sich mit dem Enkel jenes polnischen Widerstandskämpfers, den er einst in Notwehr erschoss. Überleben und Tod, Freundschaft und Verrat, Solidarität und Hass, sie alle liegen dicht beieinander bei diesem Film von Helga Hirsch, der mit einfachsten Mitteln – den Worten derer, die überlebt haben – aus einem anderem Leben erzählt, eindringlich, lebensnah und voller berührender Momente. Ein beeindruckendes Dokument wider das Vergessen und das Porträt eines kleinen, alten Mannes, der einfach nur überleben wollte.

Coffee Beans for Life – Mein Überleben in Kolbuszowa

Norman Salsitz ist ein ganz normaler älterer Herr, der, wenn man ihm auf der Straße begegnen würde, kaum für Aufsehen sorgen dürfte.
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