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Der zweite Teil von Norbert Pfaffenbichlers 2551-Trilogie ist eine brillant kompromisslose und karnevaleske Feier des Abjekten

2551.02 – The Orgy of the Damned (2023)

Eine Filmkritik von Simon Stockinger

Im Keller der Popkultur

Man sieht diesem kleinen Meisterwerk mit dem unzugänglichen Titel nicht an, dass es kaum Budget zur Verfügung hatte. So brillant inszeniert der österreichische Künstler und Regisseur Norbert Pfaffenbichler den zweiten Teil seiner als Trilogie angelegten Alptraum-Vision in einer dystopischen Tunnelwelt. Der erste Teil trägt den Titel 2551.01 – The Kid (2021) und etabliert, als Hommage an Charlie Chaplins ersten Stummfilm The Kid (1921), einen liebevollen Affenmann als Tramp, der durch eine feindselige Welt stolpert und einen Jungen bei sich aufnimmt.

Wer diesen Film bei der Diagonale 2022 versäumt hat, hat zwar wirklich was versäumt, aber das macht nichts für den zweiten Teil; eine Tafel mit kurzem Text am Beginn des Films reicht aus. Der namenlose Affenmann muss jenes Kind, das er schon einmal gerettet hat, aus den Fängen einer terroristischen Macht befreien, die es zum Kindersoldaten dressieren will. Wieder muss er durch eine unterirdische Alptraumwelt voller Halloween-Masken und Exzess irren, verfolgt von einem Dr. Pest und dessen Vasallen, und umgeben von monströsen Gestalten und tiefsten Abgründen. Diesmal kommen eine große Portion Sex und auch sexualisierte Gewalt hinzu; zudem wunderbar animierte Einlagen.

Die vollends sprachlose – oder besser: begriffslose – Welt hat etwas Kindliches: Geisterbahn-Ästhetik, Monster, Slapstick-Einlagen in Zeitraffer, Schlägereien von Drum’n’Bass-Sound begleitet. Alles ist überinszeniert, überästhetisiert. Surrealismus trifft hier auf das Dosengelächter der Sitcoms und das Abjekte bestimmt jeden Frame. Es ist, als habe die Zeichenwelt der Popkultur vollends über jede dialogische Vermittlung triumphiert. Pfaffenbichlers Vision ist auch diesmal eine Hommage an den Stummfilm und dessen magische Tableaus. Aber sie funktioniert gleichermaßen als Alptraumversion des Neoliberalismus, der hin zu einer totalen Atomisierung der Gesellschaft und zur endgültigen Austauschbarkeit des Einzelnen vollendet wurde: Hier kann in einen Raum geliebt und im Nebenraum gefoltert werden; das Individuum ist eine Plastikmaske und »Fun ist ein Stahlbad« (Adorno/Horkheimer).

Es geht von der Schlägerei, zum Bordell, zum Fleischmarkt, zum Drill der Kindersoldaten. In dieser Welt voll Slapstick, Körperhorror, Ausbeutung und Porno leuchtet dann aber plötzlich ein Moment von Erotik auf, von Zuneigung, wie ein utopischer Funke. Freilich bleibt es nur ein Flämmchen, das im Madengewimmel ersticken muss. Pfaffenbichlers Zu-Ende-Denken von Horror als stylischem Exzess bläst unter den Fanfaren fiebriger Lustangst zu einer Umkehrung der Funktion der Maske: Ist diese doch eigentlich dazu da zu erschrecken, so wird sie hier zur Voraussetzung dafür, den gezeigten Schrecken zu ertragen. Man könnte sagen, dass die großzügig orchestrierte Übertreibung des Abscheulichen die Bedingungen von Gewaltkonsum transparent macht: Zuletzt freut man sich über die Monstermasken, weil sie garantieren, dass wir keine Gesichter sehen.

Die verwendeten Masken sind Industrieprodukte, Halloween- und Fetisch-Waren. Sie sind in Plastik festgehaltene Abziehbilder von Ängsten und Wünschen, von kollektiv Verdrängtem und immer wieder auch von einem fantastischen Eskapismus. Pfaffenbichler haucht ihnen Leben ein und schafft damit ein Underground-Kino als Spurensuche im labyrinthischen Keller des kollektiven (Pop-)Gedächtnis. Ob dieser Exzess gefällt oder nicht – niemand würde wohl behaupten so etwas schon einmal gesehen zu haben.

2551.02 – The Orgy of the Damned (2023)

Im zweiten Teil seiner 2551-Trilogie unternimmt Norbert Pfaffenbichler eine Reise in einen seltsamen Kosmos voller wunderlicher Gestalten. 

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