Leere Netze (2023)

Gefangen

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Eine deutsche Produktion, komplett im Iran mit dortiger Cast und Crew gedreht: Aber dann ist Leere Netze eben doch eine ziemlich eindimensionale Angelegenheit. Amir (Hamid Reza Abbas) liebt Narges (Sadaf Asgari), sie liebt ihn zurück; in der ersten Szene sehen wir die beiden an der Küste. Er schwimmt im Meer und hat Spaß. Sie darf natürlich nicht einfach einen Badeanzug anziehen, wartet außen auf einem Felsen. Er will zeigen, wie toll er tauchen kann, sie hat Angst um ihn. Er denkt nur daran, wie lange er die Luft angehalten hat.

Die Liebe der beiden ist die Basis für den Abwärtsstrudel, in den sich Amir willentlich reinschmeißt. Aber allein schon diese Grundlage für alles ist brüchig, weil wir als Zuschauer von dieser ersten Szene an das Gefühl haben, dass diese beiden eigentlich nicht zueinander gehören. Natürlich kann es im Iran keine intimen Szenen geben – also sowas wie Händchenhalten oder gar unschuldige Küsse –, aber Regisseur Behrooz Karamizade, 1984 mit seiner Familie aus dem Iran immigriert, gelingt es in seinem Langfilmdebüt nicht wirklich, eine Nähe, eine Chemie zwischen seinen beiden Liebenden zu kreieren.

Amir stammt aus armer Familie. Er will Narges heiraten, hat aber seinen Job verloren – er war zu gutherzig – und kann die Versorgung nicht sicherstellen, die sich Narges‘ Eltern vorstellen. Zumal der traditionelle Brautpreis ohnehin viel zu hoch ist. Also heuert er bei einer Fischerei an. Harte Arbeit, wenig Geld, aber er arrangiert sich. Bei abendlichen Aalfangwetten – an einem Pool in einer Halle – tritt er an und gewinnt. Er erkennt schnell, dass der Chef was nebenher laufen hat: illegales Störfischen, Kaviarhandel. Er steigt mit ein. Und zur geografischen Entfernung von der Geliebten kommt die moralische und emotionale Auseinanderentwicklung, wenn sich Amir für das große künftige Glück in kriminelle Machenschaften hineinbegibt.

Das Fischereigeschäft wird sehr anschaulich gezeigt: Die Netze sind an der Küste ausgelegt, werden eingezogen, eine Menge Müll ist drin verfangen. Des Nächtens muss Amir raus, auf kleinen Motorbooten, und die Seenetze von Plastiktüten befreien, tauchend. Die Störe werden gefangen, ausgenommen, der Kaviar ausgestrichen, der Rest weggeworfen. Das sind starke Szenen, sie zeigen die harte Arbeit, vor allem auch die Ausbeutung, denen die Arbeiter in ihrer Armut ausgesetzt sind: Sie bekommen wenig und müssen die Unterkunft selbst bezahlen.

Nach einer Stunde geht es hopplahopp. Nader wird tot aus dem Meer gefischt, er war Amirs Vorgänger bei den nächtlichen Tauchgängen. Die Polizei taucht auf, schließt die Fischerei; und Omid (Keyvan Mohamadi), Amirs Zimmergenosse, entpuppt sich plötzlich als Freiheitsblogger, politisch verfolgt, der sich beim Fischen versteckt, bis er gegen viel Geld rüber nach Aserbaidschan gefahren wird. Amir hilft dem Freund, gegen Geld, versteht sich, und das ist der Point of No Return für ihn.

Es dreht sich alles ums Geld. Das System ist knallhart. Selbst die Liebe hängt daran und der Beruf und die Freundschaft, aber in Leere Netze bleibt dies doch eher eine große Behauptung. Die Musik unterstützt ganz kräftig. Wenn Amir traurig ist, dann tönt die Musik ganz traurig, damit auch das Publikum traurig wird. Dies ist aber nicht genug für einen Film; insbesondere im Vergleich mit anderen Iran-Filmen, sowohl aus dem Land als auch aus dem Exil, denen es immer wieder gelingt, emotionale Kraft mit moralischen Dilemmata, Paradoxien, Zwickmühlen zu verknüpfen.

Dieser Film hingegen ist eine geradlinige Abwärtsbewegung, die nicht einmal vom Schicksal, sondern von Amirs Entscheidungen abhängt – Narges gerät immer mehr in den Hintergrund, je weiter sich Amir in seinem Unglück verstrickt, und sie ist diejenige, die uns am Ende leid tut. Amir hat da beim Zuschauer schon lange verloren.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/leere-netze-2023