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Alt werden — aber mit Stil und Verve: „Vika“ ist die älteste DJane Polens. Mit über 80 macht sie Discos, Parties, aber auch Altenheime unsicher, immer auf der Suche nach dem „Kick“ und einer Verbindung zu den Menschen, die sie unterhält.

Vika! (2023)

Eine Filmkritik von Christian Klosz

Das Leben ist eine Party... oder?

Das Crossing Europe Filmfestival in Linz versammelt jährlich die interessantesten neuen Arbeiten europäischer RegisseurInnen. Im Rahmen der Schiene „European Panorama Documentary“ war in diesem Jahr auch die polnische Produktion „Vika!“ von Agnieszka Zwiefka zu sehen. Der Film folgt der titelgebenden Protagonistin durch ihren umtriebigen Alltag — und kann damit eine wahrlich einzigartige Persönlichkeit präsentieren: Die über 80-jährige Vika ist die älteste DJane Polens und macht in ihrem rüstigen Alter die Discos und Tanzflächen des Landes unsicher.

Früher sei sie als Gefängnisdirektorin tätig gewesen, erzählt sie, eine ebenso ungewöhnliche Berufswahl, die ihr damals ihre Vorgesetzten nicht zugetraut hätten. Nach ihrer Pension machte sie sich auf die Suche nach einem neuen Betätigungsfeld und fand das in der Musik. 

Vika ist eine rastlose Suchende, sympathisch, aber auch getrieben. Sie fühlt sich der Jugend, die zu ihren Auftritten kommt, mehr verbunden als den „Alten“, die sie unter anderem bei einem Vortrag in einem Heim trifft. Im Laufe der Doku offenbaren sich langsam aber auch die Hintergründe dieser Rastlosigkeit, der Suche nach menschlichen Verbindungen: Ihre eigene Kindheit verbrachte sie im kriegsgebeutelten Vilnius, ihre gesamte Familie wurde ausgelöscht. Keine Eltern, Geschwister, Onkeln und Tanten, alle tot. Zu ihrer eigenen Familie, ihren beiden Söhnen und und Enkelkindern, hat sie eine distanzierte Beziehung, die von losem Kontakt geprägt ist. Ihre Enkelin schäme sich für sie, erzählt Vika. Sie selbst sehnt sich danach, nach ihrer Familie, weiß aber nicht, wie sie die Verbindung herstellen soll, und führt ihr schwieriges Familienleben darauf zurück, selbst nie eine Familie gehabt zu haben. Traumata wirken nach, auch viele, viele Jahre später. Hier wird auch offenkundig, dass die stetige Suche nach Aufmerksamkeit auch etwas mit diesem Mangel zu tun hat.

Agnieszka Zwiefka fängt den turbulenten Alltag der Protagonistin in solider Manier ein. Wie diese wirkt aber auch Vika! etwas rastlos, zerfahren, man würde sich als ZuschauerIn dem Film etwas mehr ruhige Momente der Andacht wünschen. Emotionen zeigt Vika nur bei ihrem Besuch in ihrer Heimatstadt, bei der Besichtigung alter, bekannter Orte. Und in den beiden im Film inkludierten Musikvideos in künstlerisch verfremdeter Form. 

Der Großteil von Vika! wurde 2019 gedreht, vor Ausbruch der Corona-Pandemie. Das letzte Drittel widmet sich dann dieser Zeit, der auch massive Auswirkungen auf Vikas Alltag und Leben hatte: Auftritte, Konzerte wurden abgesagt, sie verbringt viel Zeit zu Hause, nimmt wieder Kontakt mit ihren Söhnen auf. Mit einem befreundeten DJ streamt sie von zu Hause ein Wohnzimmerkonzert, zur Begeisterung des Publikums aus aller Welt.

Schließlich fängt die Kamera ein offenes Gespräch mit einem ihrer Söhne ein: Während Vika gewohnt ist, von ihrem Publikum gefeiert und bejubelt zu werden, erfährt sie von dieser Seite das Gegenteil — Vorwürfe, warum sie nie für ihre Kinder da gewesen sei, offensives Desinteresse an ihren Disco-Aktivitäten, Enttäuschung. Der Austausch ist konfrontativ, direkt, ehrlich  - und hoffentlich der Beginn einer Annäherung, das Ende eine langen Suche. Man würde es Vika wünschen.

Vika! (2023)

Eine Filmkritik von Christian Neffe

Wer tanzt, wird niemals alt

Manche Dokumentationen haben es von Natur aus leicht, könnte doch allein das Subjekt ihrer Beobachtung den Film tragen. Machmal ist schon die Person oder das Ereignis, um die/das es geht derart interessant, faszinierend, ungewöhnlich, dass man kaum anders kann, als erstaunt auf Leinwand oder Bildschirm zu starren.

In diese Kategorie Dokumentarfilm fällt Vika!, in dem die polnische Regisseurin Agnieszka Zwiefka ihre Landsfrau Wirginia Wika Szmyt porträtiert. Besser bekannt ist Smzyt unter ihrem Künstlerinnennamen DJ Vika. Nun herrscht an Reportagen über Menschen, die Clubs mit wummernden Beats und harten Bässen beschallen, wahrlich kein Mangel. DJ Vika jedoch hat ihnen allen etwas voraus, nämlich mehr als nur ein paar Lebensjahre: Die gute Frau ist in ihren Achtzigern.

So wirkt es anfangs doch reichlich surreal, wenn sie über den Dancefloor streift, von allen begeistert empfangen wird, anschließend mit Kopfhörern über den schneeweißen Haaren und der Herzchen-Sonnenbrille einen Raum voller 20-Jähriger mit House-Musik zum Tanzen und Jubeln bringt, wie ein Star gefeiert wird. 

Anders verhält sich das bei ihren Altersgenoss:innen: Bei einem Vortrag in einem Altenheim spricht Vika darüber, dass sie sich mit Beginn ihrer Rente nicht zurückziehen, keine „Pflanze im Fenster“ sein wollte, sondern das DJing lernte. Dass man das Alter akzeptieren, aber genauso auch zelebrieren und sich selbst lieben müsse, anstatt das Leben aufzugeben. Die Reaktion des Raumes: skeptische bis mürrische Blicke. Da lege sie doch lieber „for the gays“ auf, flüstert Vika ihrem Manager zu. Und tut das wenig später auch bei Pride-Veranstaltungen in Polen und Tschechien. Denn da ist ihr der Jubel gewiss.

Diese Dame ist mit einer unfassbaren Energie und Lebensfreude gesegnet, und doch wird klar: Das ist nicht etwa angeboren, sondern Resultat ihrer kontinuierlichen Aktivität, ihres Willens, ständig weiterzumachen und Neues zu lernen. Das Scratchen etwa. Wie gut ihr das tut, wird umso deutlicher, als Corona einschlägt, sie zu Hause einsperrt und ihr sämtliche Reisen und Live-Auftritte unmöglich macht. Plötzlich wirkt Vika zunehmend müder und noch granteliger als zuvor. Denn auch das zeigt der Film: Die Rentnerin ist bisweilen doch etwas eigen, wird auch schon mal zickig, wenn etwas nicht nach ihrem Willen läuft oder ihr Sohn ihr vorwirft, sie würde ihn ja nie besuchen kommen oder sich für sein Leben interessieren.

Mit Beginn von Corona büßt Vika! wie auch seine Protagonistin leider viel von seiner vorherigen Energie und seinem Drive ein, da helfen auch die kurzen Passagen wenig, in denen Regisseurin Zwiefka das Innenleben ihres Stars als schillernde, durchchoreografierte Musical-Einlagen inszeniert. Überhaupt bleiben nach den 74 Minuten einige Leerstellen, die man als Zuschauer:in noch gerne gefüllt hätte. Über Vikas Biografie wird nur wenig verraten – sie ist verwitwet und hat zwei Söhne, zu denen sie eine eher dünne Beziehung pflegt, viel mehr erfährt man nicht –, und auch die entscheidende Frage, warum es sie denn speziell ans DJ-Pult zog, bleibt offen.

Dennoch zeigt Vika! auf kurzweilig-mitreißende Art, dass man keine Angst vorm Altern und Anderssein haben muss, solange man Freude hat an dem, was man tut und liebt. Wie der Blick über den Tellerrand besser als jede Wellnesskur wirken kann. Und dass man bloß niemals aufhören sollte, zu tanzen. Denn, wie Vika es so treffend formuliert: „Wer tanzt, wird niemals alt.“

Vika! (2023)

Vika ist mehrfache Mutter und Großmutter, blickt auf eine schwierige Kindheit und viele Arbeitsjahre in einem „ordentlichen“ Beruf zurück. Mit der Pensionierung ergriff sie die Chance, sich neu zu erfinden. Sie wurde DJ und Star der Nachtclubs in Warschau. Regelmäßig versetzt ihr junges Publikum in Begeisterung. 

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