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Niemand möchte in der Haut von Eltern stecken, deren Kind zum Serienmörder wurde. Der Krankenpfleger, der in die Kriminalgeschichte einging, weil er über Jahre hinweg Klinikpatienten in den Tod spritzte, verbüßt eine lebenslange Haftstrafe. Wie aber werden seine Eltern damit fertig?

Jenseits von Schuld (2024)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Vom Unglück, die Eltern zu sein

Sie und ihr Mann hätten auch mal über eine Namensänderung nachgedacht, sagt Ulla Högel. Aber dann hätten sie auch wegziehen müssen, und hier seien sie doch verwurzelt. Ulla und Didi Högel sind in ihrer norddeutschen Heimat geblieben und meistern dort ihr Leben, auf dem seit vielen Jahren ein schwarzer Schatten liegt. Ihr Sohn Niels sitzt im Gefängnis, verurteilt für den Mord an 87 Menschen. In seiner Zeit als Krankenpfleger in zwei Kliniken verabreichte er jahrelang Patienten tödliche Medikamente, bis zu seiner Festnahme im Jahr 2005. Längst nicht alle Sterbefälle während seiner Dienstzeit konnten nachträglich aufgeklärt werden. Die Eltern haben nicht mit ihrem Sohn gebrochen. „Es ist Niels“, sagen sie oft, wenn das Telefon klingelt.

Der Titel dieses Dokumentarfilms von Katharina Köster und Katrin Nemec scheint gut gewählt. Für die Schuld, die in ihr Leben geschwappt ist, können die Eltern von Niels Högel wohl nichts. Sie stehen im Zentrum des Films mit ihren Versuchen, den Alltag so zu gestalten, wie sie es für richtig halten. Die Mutter sagt, sie grübele längst nicht mehr darüber, ob sie als Eltern etwas falsch gemacht hätten und was das gewesen sein könnte. Es schmerzt sie sehr, dass es keinen Kontakt zur Enkeltochter gibt. Die Möglichkeiten, ein normales Familienleben zu führen, sind in der Realität, die ihnen der Sohn aufgezwungen hat, eingeschränkt. Der Sohn selbst kommt im ganzen Film nicht vor, höchstens einmal schemenhaft beim Überqueren des Gefängnishofs, und wenn er anruft, hört man nicht, was er sagt. Aber die Eltern sehen sich Dias und Filmaufnahmen aus seinen Kindertagen an, suchen den Anschluss an Zeiten, als ihre Welt noch in Ordnung war.

Welchen Sinn ergibt es, einen Film über die Eltern eines Schwerverbrechers zu drehen? Ulla und Didi Högel leben einen durch und durch unspektakulären bürgerlichen Alltag. Sie sei dünnhäutiger geworden, sagt er. Sie erzählt offener von ihren Schwierigkeiten, mit dem Unfassbaren umzugehen. Er arbeitet noch immer in seinem Beruf als Krankenpfleger, die Kamera begleitet ihn zu ambulanten Diensten bei einem alten Mann. Wenn etwas an Vater Högel auffällt, dann ist es am ehesten seine ruhige, freundliche Gelassenheit, die sich wohl auch als norddeutsche Bedächtigkeit bezeichnen lässt. Der Film beobachtet die beiden in ihrer Wohnung, bei Strandspaziergängen, lässt sie erzählen. Es nötigt Respekt ab, wie diese Eltern weiter zu ihrem Sohn halten, ihn besuchen, ihm Urlaubskarten schicken. Sie sehen in ihm nicht nur den Mann, der schreckliche Taten begangen hat, welche sie aber auch in keiner Sekunde zu relativieren suchen.

Das Publikum erfährt hier also, dass die Eltern von Niels Högel keine Monster oder asoziale Individuen sind. Es kann sogar erahnen, wie viel Kraft es ihnen abverlangt, sich selbst nicht aufzugeben. Aber die beiden Regisseurinnen lassen eine Linie vermissen bei ihren Beobachtungen und ihren wenigen Fragen, mit denen sie sich aus dem Off hören lassen. Einerseits zwängen sie das Ehepaar nicht in ein dramaturgisches Korsett, wollen ihm Raum für seine eigene Wahrheit geben, andererseits fragen sie doch nach, ob die Eltern sich nicht vorwerfen, dass sie etwas hätten bemerken können zu der Zeit, als der Sohn seine Taten beging. Nicht nachgefragt wird hingegen, weshalb sich die Eltern die Fernsehberichte und dokumentarischen Serien über ihn und seine Verbrechen anschauen oder antun, der Vater sich das Buch „Der Todespfleger“ kauft.

Kaum zur Sprache kommt auch das soziale Umfeld des Ehepaars und ob es sich verändert hat. Lediglich einer Bemerkung des Vaters ist zu entnehmen, dass sich die Menschen im persönlichen Umgang mit Kommentaren zurückhalten. Das filmische Porträt will allem Anschein nach frei von aufdringlicher Neugier bleiben, um das Paar nicht weiter zu belasten, vertieft sich dabei aber im Verlauf kaum.

Gesehen auf dem DOK.fest München 2024.

Jenseits von Schuld (2024)

„Jenseits von Schuld“ rzählt die Geschichte eines Elternpaares, dessen Kind zum Mörder wurde. Dürfen sie ihr Kind noch lieben, angesichts dieser unverzeihlichen Schuld? Schaffen sie es, Familie zu sein und sich ihr Leben als Paar zurückzuerobern? (Quelle: Trimafilm)

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