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Neun Geschichten aus dem theokratischen Teheran in nur elf statischen Kameraeinstellungen. „Irdische Verse“ porträtiert den Alltag in der Iranischen Hauptstadt mit einer Mischung aus Humor, Verzweiflung und Mikro-Rebellion.

Irdische Verse (2023)

Eine Filmkritik von Lukas Hoffmann

Bürokratischer Irrsinn in Teheran

Bereits bei der Geburt beginnt der theokratisch geprägte Staat Einfluss auf seine Bürger*innen zu nehmen: Kindernamen müssen vage definierten Regeln entsprechen, bei Schulfesten müssen alle Mädchen verpflichtend Hijab tragen, der Führerschein kann wegen Tätowierungen verweigert werden und Drehbücher werden über Jahre hinweg von Beamten umgeschrieben oder nach jahrelanger Bearbeitung schlicht abgelehnt. Was im Iran zum Alltag gehört, ist für die meisten Menschen im Westen unvorstellbar. Die Regisseure und Autoren Ali Asgari und Alireza Hatami verarbeiten diesen bürokratischen Irrsinn in „Irdische Verse“ als schwarzhumorige Sozialkritik, in der Witz und Wut in ständigem Wechselspiel stehen.

In der Chronologie eines Menschenlebens, angefangen bei der Geburt, über die Jobsuche, bis zum Verlust des geliebten Hundes im Rentenalter, erzählen sie neun kurze Geschichten mit unterschiedlichen Protagonist*innen. Die Einstellungen bleiben dabei stets statisch, die Protagonist*innen werden frontal gefilmt, hinter der Kamera sitzt ein Beamter oder eine Beamtin. Während die Personen vor der Kamera in jeder Sequenz ein zunächst banal wirkendes Anliegen haben, wie sein Neugeborenes zu benennen, ertönt hinter der Kamera eine Stimme, die alles daranzusetzen scheint, dieses Anliegen zu sabotieren.

Mit mehrdeutigen Formulierungen, Fangfragen und bürokratischem Irrsinn, der in seinen absurdesten Momenten an den „Passierschein A38“ aus Asterix erobert Rom erinnert, werden die Betroffenen vor der Kamera schikaniert. Das klingt nicht nur anstrengend: So zermürbend wie die Situationen für die Protagonist*innen sind, sind sie häufig auch für das Kinopublikum. Die Machtspielchen der Beamten sind durch die schiere Absurdität ihrer Argumentation zwar in einzelnen Momenten lustig, in den meisten aber eher frustrierend. Die Frustration überwiegt den Humor, denn je länger die einzelnen Diskussionen andauern, desto gereizter werden alle Parteien. Irdische Verse ist politische Satire, keine pointierte Comedy.

Asgari und Hatami rücken aber vor allem die kleinen Rebellionen in den Mittelpunkt. Handlungen, welche die Bürokratie Teherans mit der Zeit zum Einstürzen bringen könnten. Diese intelligent geschriebenen Mikro-Rebellionen bringen Hoffnung, sie sind die Stimme der Menschen, die einfach nur ein normales Leben in ihrer Heimat führen wollen, aber von der theokratischen Regierung an jeder Stelle daran gehindert werden. Sie sind Anregung und Aufruf zugleich, sie sollen ein Bewusstsein für die alltäglichen Probleme schaffen, für welche die politische Berichterstattung nur selten Zeit findet. Das funktioniert, typisch für eine Anthologie, aufgrund der verschiedenen Schauspieler*innen und Geschichten mal mehr und mal weniger gut. Einige Szenen sind bissig geschrieben, während sich andere sehr belehrend anfühlen, einige Figuren sind herausragend gespielt, während andere nur zweckdienlich porträtiert sind. Bei einer Laufzeit von 77 Minuten stellt das aber kein großes Problem dar, denn die nächste Szene und damit der nächste Konflikt lassen nie lange auf sich warten.

Allerdings fehlt es Irdische Verse durch den Fokus auf die Dialoge etwas an kreativer Bildgestaltung. Die statischen Einstellungen sind immer ästhetisch ansprechend, meist symmetrisch und gerade, mit genug Details gefüllt, um über die kurze Dauer der ungeschnittenen Streitgespräche hinweg nicht uninteressant zu werden. Sie bieten aber keinen weiteren Mehrwert, nur selten passiert etwas Nennenswertes im Raum hinter den Protagonist*innen. Die Erzählung liegt gänzlich auf den Schultern der Schauspieler*innen und dem Drehbuch; die Inszenierung rückt buchstäblich in den Hintergrund.

Das ist in den besseren Geschichten der Anthologie kein Problem. Die schwächeren Momente aber werden so langatmig. Irdische Verse ist ein experimenteller Film, der mit Sehgewohnheiten bricht und den bürokratischen Alltag Teherans satirisch aufgearbeitet in westliche Kinos bringt. Auch wenn einige Geschichten stärker sind als andere, gelingt es der Iranisch-Niederländischen Produktion durchgehend, den bürokratischen Wahnsinn zu porträtieren und die friedlichen Akte der Rebellionen humorvoll einzufangen.

Irdische Verse (2023)

Der Film folgt in verschiedenen kleinen Vignetten ganz normalen Menschen in ihrem Alltag im Iran, zeigt all die Schwierigkeiten, die sich ihnen seitens der Autoritäten im Land entgegenstellen und zeichnet so das Bild einer komplexen Gesellschaft.

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