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Wer die Berge kennt, begegnet ihnen mit Ehrfurcht. Sie können den Stimmen in diesem Dokumentarfilm zufolge beängstigend sein, aber auch Geborgenheit spenden. In hochalpiner Region versuchen Wissenschaftler*innen, Kreative und Naturbegeisterte, ihre Geheimnisse zu ergründen.

Bergfahrt – Reise zu den Riesen (2024)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Am Puls der Hochalpen

Die Alpen wachsen Jahr für Jahr, wenn auch nur wenige Millimeter. Doch ihre Felsen werden im Zuge des Klimawandels, der den Permafrost auftauen lässt, instabil und brüchig. Sommerliche Hochtouren sind in etlichen Gebieten mittlerweile aufgrund der Steinschlaggefahr nicht mehr möglich. Die Berge verändern sich, die Faszination aber, die sie auf die Menschen ausüben, bleibt. Die modernen Skiarenen und das Gedränge auf beliebten Aussichtsplattformen lassen wenig Raum für Kontemplation. Wer die Geheimnisse der Bergwelt ergründen will, muss dem Lärm der Zivilisation ein Stück weit den Rücken kehren. Die Protagonist*innen im Schweizer Dokumentarfilm von Dominique Margot gehen in der hochalpinen Region philosophischen, kreativen und wissenschaftlichen Fragen nach.

Der betagte ehemalige Naturparkwächter Luigi und die junge Bergführerin Carla sprechen über die Berge, als hätten sie ein Bewusstsein. Carla betont, dass sie dem Eiger nicht die Schuld am Tod ihres verunglückten Partners gebe, und besteigt ihn mit einem Begleiter erneut. Luigi glaubt, dass die Berge die Menschen warnen, bevor etwas passiert, indem sie beispielsweise ein paar kleine Steinchen rieseln lassen. Ein ehemaliger Geschäftsführer einer Leasing-Gesellschaft wandert nun als Geomant und Fachmann für Elementarwesen über die Almen. Er sagt, die Berge hätten eine „kosmische Heilungsintelligenz“. 

Ein junger Mann namens Claudio Landolt steigt im Nebel und bei Regenwetter hinauf zu einem Wasserfall, zu einer Höhle. Er hat ein Aufnahmegerät und ein Mikrofon dabei, das er dort hinhält, wo das Wasser tropft und rauscht. Er nimmt auch Schallwellen aus dem Inneren der Felsen auf, die außerhalb der menschlichen Wahrnehmung liegen, und stellt dem Berg Fragen. „Willst du mit mir auf Bühnentour gehen?“, lautet eine. Aus den einzelnen Tönen und Geräuschen komponiert er sein „Klangstück Vorderglärnisch“, das zur musikalischen Filmbegleitung gehört.

Dominique Margot hält ihren Film frei von folkloristischer Heimattümelei. Diejenigen unter ihren Protagonist*innen, die künstlerisch unterwegs sind, blasen nicht ins Alphorn, sondern verblüffen mit unkonventionellen, witzig-schrägen Ideen. Ein paar mal tritt eine japanische Performerin auf. Sie singt in der Gondel ein Lied, das mit lustigen Armbewegungen wie ein abgewandelter Schuhplattler anmutet, turnt auf einer Wiese oder steht am Rande eines Gletschersees, eingehüllt in einen Überwurf aus weißen Bändern, der sie wie ein merkwürdiger Eisblock aussehen lässt. 

Interessanterweise ergeben sich unvermutete Parallelen in der Art und Weise, wie die Wanderer, Kreativen und die Leute aus der Wissenschaft die Berge begreifen. Dass sie Gebilde sind, in denen sich etwas regt, dass sie sogar hin- und herschwanken, weiß auch Professor Jan Beutel. Das Matterhorn gehe sogar mit den Mondphasen rauf und runter, sagt er. Der Wissenschaftler misst am ikonischen Berg der Schweiz mit verschiedenen Geräten die Schwingungen, die wiederum vorhersagen sollen, wie stabil die von Rissen durchzogenen Steintürme sind und wann der nächste große Felssturz bevorsteht. Mit den Folgen des Klimawandels beschäftigen sich auch ein Glaziologe in Frankreich und eine Biologin am Schweizer Furkapass. Er misst das Fließen des Gletschers Argentière, unter anderem indem er ihn in den Schächten einer Wasserkraftgesellschaft von unten betrachtet. Die Biologin erforscht, wie sich die Pflanzen anpassen und beispielsweise auf die Sommertrockenheit reagieren. 

Hauptsächlich in der Schweiz gedreht, aber auch in Frankreich und im österreichischen Sölden, bietet der Film erwartungsgemäß imposante Bergpanoramen und -impressionen. Dominique Margot verzichtet auf einen begleitenden Kommentar und vertraut der Wirkung der aufgenommenen Momente mit den Protagonist*innen. Die Montage sorgt für ständige Abwechslung, springt zwischen kreativen, kontemplativen und wissenschaftlichen Passagen hin und her. Das Ergebnis ist ein Kinofilm mit schönen, oft überraschenden Aufnahmen, der anregende und aktuelle Perspektiven auf die hochalpine Bergwelt eröffnet.  

Bergfahrt – Reise zu den Riesen (2024)

Nach Jahren des Massentourismus in den Alpen, findet langsam ein Umdenken statt. Forschende, Künstlerinnen und Künstler, Philosophinnen und Philosophen, viele versuchen, sich dem Wesen der Berge auf neue Weise zu nähern. Sie spiegeln die gegensätzlichen Ansätze in dieser kritischen Zeit wider, in der wir unsere erlernten Werte neu definieren und den Wandel aktiv suchen müssen. (Quelle: GMFilms)

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