Die Schöne und das Biest (2014)

Wie man einen Klassiker zerlegt...

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Manchmal kann ein zuviel an filmhistorischen Kenntnissen auch eine echte Last sein. Diese Erfahrung dürften wohl alle Zuschauer und Kritiker gemacht haben, die sich während der diesjährigen Berlinale Christophe Gans' Die Schöne und das Biest anschauten bzw. dies aus beruflichen Gründen tun mussten. Denn neben der (mit einem Oscar prämierten) Disney-Version, die 1991 das französische Volksmärchen als Animationsmusical auf die Leinwand brachte, gibt es neben zahlreichen anderen Verfilmungen des Stoffes vor allem DIE EINE Version von Jean Cocteau aus dem Jahre 1946, die die Augen von filmhistorisch Interessierten zum Leuchten bringt. Allein die raffinierten Bildfindungen von Henri Alekan, einem wahren Meister des Spiels von Licht und Schatten, gelten bis heute als beispielgebend für die hohe Kunst der Schwarzweiß-Fotografie im Film. Es sind also gewaltige Spuren, auf denen der Film mit viel (CGI-)Aufwand und großem Staraufgebot wandelt – und in denen sich Christophe Gans' Fassung heillos verirrt.
Dabei ist es nicht so, dass man dem Film große Abweichungen von der Vorlage vorwerfen könnte. Vielmehr folgt der Film inhaltlich weitgehend den literarischen Vorgaben und erzählt recht brav vom reichen Kaufmann (André Dusollier), der seinen gesamten Besitz verliert, als seine Handelsflotte Schiffbruch erleidet und er mit einem Schlag sein gesamtes Vermögen verliert. Plötzlich verarmt muss die Familie aufs Land ziehen und es ist einzig Belle, die jüngste Tochter der Familie (Léa Seydoux), die dem einfachen Leben etwas abgewinnen kann. Als ihr Vater in der Hoffnung, etwas von der verlorenen Fracht retten zu können, in die Stadt reist, wird er von seinen Kindern bestürmt, er möge ihnen etwas mitbringen. Während es Belles Geschwistern vor allem an schönen Kleidern und prächtigem Schmuck mangelt, wünscht sich das Mädchen einzig eine Rose. Der bescheidene Wunsch wird ihr schließlich auch erfüllt, doch das Geschenk hat seinen Preis – die Blume stammt aus dem Schloss eines Ungeheuers (Vincent Cassel) und das verlangt nach einem Menschenopfer. Als Belle vom Handel ihres Vaters erfährt, opfert sich das Mädchen und nimmt an der Stelle ihres Vaters die Rolle an der Seite des Ungeheuers ein, das sich ihr aber niemals zeigt. Dann erfahren die Geschwister und der skrupellose Gauner Perducas (Eduardo Noriega) von den Schätzen, die sich in den Hallen des Schlosses befinden – und damit findet die Ruhe und Zurückgezogenheit des Ungeheuers, das in Wirklichkeit ein verwunschener Prinz ist, ein jähes Ende...

Das Märchen vom Mädchen mit dem reinen Herzen, das hinter der Maske des Monsters den Menschen erkennt und durch seine Liebe dessen Seele rettet, gehört zu jenen Geschichten, deren Botschaften vermeintliche oder tatsächliche universelle Wahrheiten in schlüssige Seelenbilder bringen – und vielleicht sorgt gerade diese Allgemeingültigkeit, verbunden mit den stets etwas gefühlsduseligen Implikationen dafür, dass sich immer wieder Künstler, Musicalmacher und Regisseure an Neuinterpretationen dieser Werke wagen. Dagegen ist prinzipiell recht wenig einzuwenden – so lange der Film der Geschichte etwas Neues hinzuzufügen weiß und sofern der Kern der Story erhalten bleibt und im besten Falle sogar in die Gegenwart des Zuschauers transformiert wird.

Die Neuerungen, die Gans an der Geschichte vornimmt, sind hauptsächlich ästhetischer Natur: Aufgepeppt mit jeder Menge 3D- und CGI-Effekten, die dummerweise aussehen, als seien sie bei einer mittelprächtigen europäischen Produktion vom Schneidetisch gefallen, wird seine Version von Die Schöne und das Biest zum knallbunt-süßlichen Action-Musical, dessen innerer Kern und Gehalt in der Opulenz der Bilder und des Kitsches (besonders gegen Ende des Filmes) gänzlich (man ist fast versucht zu schreiben: "gänslich") verloren zu gehen droht.

Gerade weil sich Gans weitestgehend an das Original hält, fällt im Laufe der Geschichte umso mehr auf, was für eine erschreckend geringe Rolle die Emotionen in diesem Film eigentlich spielen. Belles erwachende Liebe zu dem Ungeheuer, wird so abrupt gesetzt und niemals begründet, jegliche halbwegs interessante Lesart des Märchens als Parabel auf Liebe und Sexualität erstickt der Film im CGI-Gewitter und den überladenen Bildern und Dekors, die beinahe so erscheinen, als habe hier jemand den Erfolg der Bühnenmusicals der 1990er Jahre mit filmischen Mitteln ins Jahr 2014 zu transportieren versucht.

Ob man an dieser Mischung Geschmack findet, dürfte wohl vor allem eine Frage des Geschmacks (und des Alters sein): Weil die fein dosierten Schockeffekte immer noch eindrücklich genug sind, um eine gewisse Wirkung zu entfalten, mag man allzu kleinen Zuschauern einen Besuch dieses Films kaum empfehlen, obwohl die Rahmengeschichte, in der Belle ihren eigenen Kindern das Märchen vorliest, gerade solch eine Zielgruppe anzuvisieren scheint. Ob Jugendliche an der Altväterlichkeit und dem visuellen Biedermeier der Inszenierung Gefallen finden dürften, steht ebenfalls in den Sternen. Am ehesten könnte diese neue Fassung von Die Schöne und das Biest bei jener Zielgruppe 50+ Beifall und Anklang finden, die auch mal schick gekleidet zur Live-Übertragung einer Oper aus der Mailänder Scala oder der Met Platz in den Kinosesseln nimmt.

Wenn man so will, versucht Christophe Gans mit seinem Film, das Beste (oder zumindest das Prägnanteste) aus dem Kino und dem Musical unter einen Hut zu bringen und so die große Leinwand mit dem grassierenden "alternative content" zu versöhnen. Sollte dieses Beispiel freilich Schule machen, ist mir ein wenig bang um das Kino. Denn das Ergebnis ist ein buntes, lautes, tösendes NICHTS.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/die-schoene-und-das-biest-2014