The Dive (2023)

Tauchgang

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Improvisation, Kombinationsfähigkeit, Reaktionsvermögen, das sind die Schlüssel zum Erstellen von Problemlösungsstrategien – und im Film sind sie der Schlüssel für Suspense: May nämlich steckt fest, 30 Meter tief unter dem Wasserspiegel, und ihre Schwester Drew muss sie retten. Ersatz-Sauerstoffflaschen? Unter Felsen vergraben. Wagenheber? Im verschlossenen Kofferraum. Hilfe? Das Fischerboot dreht ab, eine Kirche ist verlassen. "The Dive" ist Spannungskino, ein Zwei-Personen-Abenteuer unter Wasser, ist Schwesterndrama und Überlebens-Thriller. Regisseur Maximilian Erlenwein holt das Beste raus aus der Grundidee: Tauchgang, dann ein Felsabbruch an der Klippe, und dann geht es um Leben und Tod. Leider steckt er auch ein bisschen zu viel rein in seinen Film.

Zunächst nämlich zwei Protagonistinnen, die eher überdreht wirken. Will man im wirklichen Leben mit jemandem Zeit verbringen, der beim Tauchen „Okay-hay“ juchzt? Oder auch Überdeutlichkeit: Wenn die beiden in eine Unterwasserhöhle eintauchen, heißt es im Dialog: „Back to the womb." Innen dann finden sie eine luftgefüllte Felsenglocke, klein und intim, wo sie beginnen, innerste Gefühle auszutauschen. Kleinigkeiten, ja, aber vor allem eben: vermeidbare Kleinigkeiten.

Was im Folgenden für den Film spricht: dass diese Details schnell vergessen sind, wenn die Felsbrocken ins Wasser stürzen und das Unglück seinen Lauf nimmt. Wenn die Herausforderungen übergroß werden, wenn immer neue Hürden überwunden werden müssen, wenn sich immer wieder neue Hindernisse in den Weg stellen. Wenn das Leben von May immer mehr an einem seidenen Faden hängt und wenn auch Drew, wegen zu schnellen Auftauchens, immer kraftloser wird.

Das ist die große Kunst von Maximilian Erlenwein, nicht zuletzt die große handwerkliche Kunst, dass er in jeder Situation die spannendstmöglichste Kurve nimmt. Was kann der Rettung im Wege stehen, das war sicherlich die Frage im Drehbuchprozess, und: Wie können wir unsere Protagonistinnen das Hindernis überwinden lassen, und welches Problem folgt daraus? Ein Wagenheber kann den Felsen stemmen, unter dem May liegt; der Kofferraum ist zu – wie kriegt man den Wagen auf? Oder: Der Luftschlauch der Atemmaske hat einen Riss – wie kann man ihn schließen? Oder: Wie kann man Hilfe rufen im Nirgendwo? Oder: Bei einer Sauerstoffflasche dreht das Gewinde hohl. Oder: Ein Sicherheitsventil springt dauernd an. Oder: Es ist schlicht keine Zeit für Dekompression beim Auftauchen.

Die Kameraarbeit (Frank Griebe, unter Wasser: Jan Hinrich) ist herausragend, es sind Bilder voller Faszination und Gefahr – und auch das äußerst realistischen Unterwasser-Setdesign soll nicht unerwähnt bleiben. Erlenwein hat für seinen Film englischsprachige Darstellerinnen besetzt, es geht sichtlich auch um internationale Vermarktung – und zu Recht, weil der Film das Abenteuer-Überlebens-Genre bestens bedient.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/the-dive-2023