Die Aussprache (2022)

Naive Erzählungen

Eine Filmkritik von Bianca Jasmina Rauch

Mit „Die Aussprache“ legt Sarah Polley nach „Take this Waltz“ ihren dritten Spielfilm als Regisseurin und Drehbuchautorin vor. Die mit Stars gespickte Story handelt von einer Gruppe von Frauen in einer mennonitischen Gemeinde, die ihren leidvollen Gewalterfahrungen ein Ende setzen wollen. Vergewaltigungen und Schändungen in Kombination mit Betäubungsmitteln durch die Männer stehen vor Einsetzen der Erzählung an der Tagesordnung genauso wie gemeinsame Gebete und der Glaube an die Liebe, der irgendwo zwischen blutigen Leintüchern und schmutzigem Geschirr noch seinen Platz hat.

Polleys Drehbuch basiert auf dem von realen Begebenheiten inspirierten Roman Women Talking der Autorin Miriam Toews, die selbst in einer mennonitischen Gemeinde in Kanada aufwuchs. Bereits jetzt als heißer Oscar-Kandidat diskutiert, lohnt sich ein kritischer Blick auf diesen doch etwas trägen und den Prozess feministischer Bewusstseinswerdung simplifizierenden Film.

Wie angesichts des Titels kaum überraschend, hören wir in Women Talking (engl. Titel) das hochkarätige Ensemble – darunter Rooney Mara, Jessie Buckley, Ben Whishaw und Frances McDormand, die sich neben Brad Pitt u. a. für die Produktion verantwortlich zeigte – die meiste Zeit in einer Scheune miteinander sprechen. Die Geschichte wird von einer Off-Erzählerin begleitet, die mit halblauter Stimme über diese bereits abgeschlossene Episode ihres Lebens berichtet: Nachdem erneut eine Frau aus der abgelegenen Gemeinde Gewalt erfahren hat, wird der Täter ins Gefängnis gebracht.

Die Männer (scheinbar alle) machen sich auf den langen Weg aus der Kolonie hinaus in die Stadt, um gemeinsam die Kaution zu bezahlen. Währenddessen beratschlagt sich nun eine Gruppe von Frauen, denen bewusst geworden ist, dass angesichts des Schmerzes, des Leids und der irreversiblen Traumata, die sie alle regelmäßig durch männliche Gewalt erfahren, noch viel grundlegendere Dinge gewaltiger schieflaufen müssen.

Um ihrer Unterdrückung ein Ende zu setzen, stellen sich ihnen nur die Möglichkeiten zu bleiben und gegen die Männer anzukämpfen, sobald diese zurückkehren oder die Kolonie zu verlassen, hinaus in eine ihnen völlig unbekannte Welt zu gehen. Pro und Contras werden abgewägt, es folgt ein Hin und Her aus Argumenten; die Entscheidung muss schnell fallen.

Die Dialoge in Die Aussprache sind nach Kammerspielmanier vorbildhaft montiert. Die Gruppe schwankt hin und her zwischen den Polen. Mal gibt es kleine Konflikte, mal lustige Momente zwischen den Figuren und jede hat ihre Funktion innerhalb des Gesamtgefüges, in dessen Zentrum aber klar die von Rooney Mara verkörperte Ona als liebenswerte Identifikationsfigur steht.

Auch ein Transmann (gespielt von August Winter) ist Teil des Films, taucht jedoch nur am Rande auf, und wirkt eher nachlässig abgestellt als fruchtbar in die Erzählung integriert. In seiner angestrebten Vorbildhaftigkeit liegt leider auch die Falle, in die Die Aussprache tief hineinfällt: Viele Sätze klingen wie aus einer Anleitung zur Bewusstseinsschärfung für Unterdrückungsmechanismen kopiert und das Frauenkollektiv hört sich wie der unrealistische Schnellkurs für eine Consciousness-Raising-Gruppe an.

Wenn es nach Die Aussprache geht, muss man sich nur mal ein, zwei Tage zusammensetzen und schon stellt sich das Bewusstsein über die Funktion von Machtstrukturen ohne Weiteres ein. Unter diesen Vorzeichen verliert die Handlung schon nach den ersten Minuten jegliche Spannung, und es bleibt nur eine grau-weiß gefärbte Mixtur aus erzählerischer Vorhersehbarkeit und einer bereits unzählige Male durchgespielten Opfergeschichte übrig.

Die Grunderzählung von Die Aussprache lässt sich natürlich auf andere Formen der Gewalterfahrung und Unterdrückung übertragen. Das Gespräch der Frauen als feministische Kampfansage gegen das Patriarchat zu betrachten, drängt sich auf und birgt aber gerade auch in seinem oftmals durchschimmernden versöhnlichen Tonus sein Frustrationspotenzial.

Die Liebe als Antwort auf alles kann eben nur im Kino ein verlässliches Wunderrezept gegen Gewalt und Leid darstellen. Ein Film wie Die Aussprache wäre die Gelegenheit mal tiefer in die großen Fehlfunktionen des Patriarchats zu dringen, um zu hinterfragen, mit welchen Bildern von Liebe uns das Kino am laufenden Band bombardiert. Polleys Film macht in seinen Dialogen aber keinen Platz dafür, begnügt sich viel mehr damit, Liebe etwa als beschwichtigende Güte von Ona zu erzählen, die wiederum nicht verstehen mag, warum Liebe immer mit Gewalt und Konflikt einhergehen.

Sätze darüber, dass auch Vorstellungen von Liebe und Romantik erlernt sind und Unterdrückungsmechanismen unterstützen, fehlen im Drehbuch. Stattdessen erklärt Ona, dass die Männer, die nur die gewaltvolle Liebe kennen, ja auch nichts dafür können, schließlich sind sie in diesem System aufgewachsen, das wiederum auch von Frauen mitgetragen wird. So funktioniert das alles also.

Allerdings gibt es auch noch ein ganz klein wenig Hoffnung in Sachen Männer: Es ist der von Ben Whishaw dargestellte Lehrer August, der im Gegensatz zu den gesichtslosen Peinigern, auf der Seite der Opfer steht. Er ist im Gegensatz zu den Frauen des Schreibens habhaft und protokolliert das Treffen, um es der Nachwelt zugänglich zu machen. Als Sohn einer aus der Gemeinde Ausgestoßenen ist er einer der Guten mit kritischem Bewusstsein und hält sich während der Meetings zurück. Er schreibt, hört zu und wenn er sich zu umfangreich äußert, wird er von den Frauen in die Schranken gewiesen: Die Männer hatten schon genug zu sagen – hier wird kein Mansplaining toleriert.

Die Momente, in denen August sich geduckt zurücknimmt und nichts erwidert, sind zahlreich. Seine Figur dient gewissermaßen dazu, die Hoffnung – hier lässt sich alles wieder wunderbar in die Realität übertragen – auf die Männer nicht völlig aufzugeben; ja, es gibt eben auch die, die zuhören und wirklich verstehen möchten, was Frauen denken und zu sagen haben. Die Handlungsansätze von Die Aussprache mögen zwar an sich relevant und lobenswert erscheinen, das Drehbuch kann aber auch die Inszenierung nicht mehr retten.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/die-aussprache-2022