Birnenkuchen mit Lavendel (2015)

Erfrischend seltsam

Eine Filmkritik von Andreas Günther

Er hat das Asperger-Syndrom und wirkt seltsam, sie ist eine hübsche, verwitwete Ökobäuerin mit zwei Kindern. Wer nun eine der inzwischen sehr konventionell gewordenen unkonventionellen Liebeskomödien befürchtet, den enttäuscht Birnenkuchen mit Lavendel auf die angenehmste Weise. Eine mehr angedeutete als ausgeführte Romanze hält zart einen Film zusammen, in dem nicht nur die Hauptfiguren lernen, die Welt, in der sie leben, und sich selbst erfrischend anders zu sehen, sondern das Publikum gleich mit.

Es beginnt mit einem Tag wie so vielen für Louise (Virginie Efira). Ihr Mann verunglückte tödlich beim Paragleiten, nun versucht sie, den Hof mit Obstanbau in der französischen Provinz bei Grenoble allein durchzubringen, und dabei noch zwei widerspenstige Kinder zu erziehen. Der Verkauf ihrer Produkte auf dem Wochenmarkt geht nur schleppend. Nachbar Paul (Laurent Bateau), mit dem sie nachher noch ein Gläschen trinkt, weiß auch nicht, wie man die Kooperative dazu bringt, endlich ihre Rechnungen bei Louise zu begleichen. Auf der Rückfahrt nach Hause telefoniert sie mit Tochter Emma (Louise Fagedet), die auf den jüngeren Bruder Félix (Léo Lorléac'h) aufpassen soll. Erschöpft möchte sie danach am liebsten in dem alten Pullover ihres Mannes versinken, den sie trägt. Lichtreflexe der Sonne und Schattenflecken der Bäume über dem Auto, Louise greift nochmals nach dem Handy, dann passiert es, dann rammt sie jemanden.

Der Mann, der in ihr Auto gelaufen ist, heißt Pierre (Benjamin Lavernhe). Steif hockt er in dem wilden Feld neben der Landstraße. Besorgt geht Louise zu ihm, fragt, ob alles in Ordnung sei. Seine Antwort kommt bejahend, aber so mechanisch, dass sie nicht beruhigt ist. Woher er kommt, sagt er nicht. Er lobt ihr Kleid. Sie nimmt ihn mit auf ihren Hof. Sie verarztet ihn, aber das ist schwierig, weil er sich nicht berühren lassen will. Sie lässt ihn auf dem Sofa übernachten. Dem Erstaunen Emmas begegnet sie mit der ironischen Frage: "Willst Du ihn nach Hause bringen?". Da ist schon die Nacht hereingebrochen, und Mondlicht umhüllt Louises schönes rustikales Haus. Tage später, als Pierre dafür sorgt und dabei hilft, Louises Birnenbäume vor dem Frost zu schützen, erscheint der Mond ganz groß. Denn inzwischen hat ein Zauber Einzug gehalten, den Regisseur Éric Besnard sehr behutsam wirken lässt.

Mit seiner Intelligenz und seiner Entrücktheit verkörpert Pierre einen Teil dieses Zaubers. Aber mehr noch erweckt er ihn sanft, wenn er Lavendelfelder durchquert und einen Bach langsam über seine Handfläche rinnen lässt. Felder und Wasser waren schon vorher da. Doch erst Pierres Bewegungen eröffnen sie dem Blick, so wie sich Louise erst im Spiegel seiner direkten Bemerkungen, elementaren Fragen und überraschenden Handlungen erkennt. Die schwierige Annäherung zwischen dem Mann mit Asperger und der Witwe mit Geldsorgen ist nur das Fruchtfleisch für eine poetische Öffnung auf eine neue Existenz, die den 'Geschmack von Wundern' hat, wie der Film im Original heißt.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/birnenkuchen-mit-lavendel-2015