Prey (2021)

Männer allein im Wald

Eine Filmkritik von Lars Dolkemeyer

Die neue deutsche Netflix-Produktion „Prey" führt in den finsteren, sächsischen Wald. Fünf Männer wollen dort mit Kanutour und Wanderung einen Junggesellenabschied feiern, doch etwas kommt dazwischen: Aus dem Unterholz wird auf sie geschossen. Kein Ausweg, außer zurück in das Dickicht. Autor und Regisseur Thomas Sieben, der zuletzt etwa am Drehbuch der Bumskomödie „Verrückt nach Fixi" (2016) beteiligt war und den einfallslosen Thriller „Kidnapping Stella" (2019) drehte, versucht in „Prey" die Inszenierung eines atmosphärisch dichten Films über den Zerfall einer Gruppe von Männern. Das Ergebnis ist jedoch weit davon entfernt.

Roman (David Kross) und sein Bruder Albert (Hanno Koffler) sind mit ihren Kumpels (Robert Finster, Yung Ngo, Klaus Steinbacher) im Wald unterwegs, um mal so einen richtigen Männerurlaub zu unternehmen, bevor Roman und seine Verlobte Lisa (Maria Ehrich) heiraten werden. Kaum sind die Naturburschen mit ihren Kanus an Land gegangen, um durch den Wald zu ihrem Auto zu wandern, werden sie aus dem Dickicht angeschossen. Ihnen bleibt nur der Weg zurück in den Wald, um auf Handyempfang zu hoffen und irgendwo eine Straße zu suchen, auf der sie Hilfe holen können.

Dräuend gleitet die Kamera durch den dichten Wald. Spaßend und unbedarft legen Roman und seine Freunde mit ihren Kanus am Ufer eines Flusses mitten im Dickicht an, machen ein Feuer und... erklären den Zuschauer*innen erst einmal ihre Beziehungen zueinander. Auf dem lässig freundschaftlichen Niveau von Sätzen, die ungefähr so klingen wie „Du bist ja mein Bruder und ich heirate ja morgen, er ist Biologielehrer und er da hinten ist Single“ stellen die fünf echten Kerle sich und ihre unterkomplexen Beziehungen vor.

Als nach ein paar holprigen Dialogen endlich die Exposition überstanden ist und der Film sich von dem ganzen anstrengenden Erzählen etwas erholen muss, wechselt nach Auftreten der unbekannten Schützin (Livia Matthes) der Modus in eine wiederkehrende Abfolge von Verzweiflung, Tatendrang, Hoffnungsschimmer und wieder Verzweiflung, die von den Möchtegern-Überlebenskünstlern durchlaufen werden, während sie auf der Suche nach Hilfe durch den Wald stolpern und unter der penetranten Verbindungslosigkeit ihrer Handys leiden. Während Prey zu Beginn noch einige gelungene Bilder inszeniert, die eine unheilvolle und kaum greifbare Dunkelheit in den gleichzeitig überwältigend schönen Wald legen, wird mit jedem Schritt durch die Kulisse wörtlicher und wörtlicher deutlich, worin genau nun die Motivation der Schützin besteht und was welche Figur zu jedem Zeitpunkt gerade denkt.

Dieses Problem teilt Prey mit zahlreichen Netflix-Produktionen. Vermutlich liegt es an der übereifrigen Sorge vor allzu abgelenkten Zuschauer*innen, die sich gerade darin jedoch selbst erfüllt: Wenn beständig Figuren aussprechen, was gerade passiert, was vorhin passiert ist und was möglicherweise als nächstes passiert – ja, dann könnte es schon sein, dass ich mich langweile. Vielleicht sogar viel eher und mit mehr Frustration als in einem Film, der sich die Zeit nimmt, Bilder auch mal auszuspielen, Figurenbeziehungen komplex und nicht gänzlich schematisch anzulegen und der die durchaus vorhandenen Möglichkeiten zur Inszenierung eines Waldes auch zu ihrem Recht kommen lässt, ohne gleich jede Offenheit durch brutal-wörtliche Dialoge wieder einzufangen.

Tief verborgen in Prey läge womöglich ein packender Film, der einige atmosphärische Schauplätze nutzt, um an ihnen eine finstere und unübersichtliche Verfolgungsjagd zu inszenieren, in deren Verlauf eine Gruppe überforderter Großstadt-Yuppies in der Midlife-Crisis zerrieben und zersetzt wird. Stattdessen inszeniert Thomas Sieben einen Film, in dem vor allem David Kross und Hanno Koffler gerade genug Freiraum bekommen, um sich an zwei oder drei Gesichtsausdrücken verschiedener Verzweiflungsgrade zu versuchen, bevor ihre Figuren eine mit grobem Werkzeug in den Film gehauene Wendung und eine wenig überzeugende Auflösung erleben. Ihre drei Freunde werden dabei so banal und einfallslos in den Film gestellt, dass sie zum Ende schon fast wieder vergessen sind. Die Schützin bekommt im Gegensatz zu den unaufhörlich ihre momentane Situation kommentierenden Brüdern nicht einmal eine Sprechrolle zugestanden und findet ein himmelschreiend unwürdiges Ende. Damit verliert Prey dann vollends die Chance auf eine einzige interessante und vielschichtige Figur, die neben dem schematischen Brüderkonflikt eine weitere Ebene in den Film hätte ziehen können. So bleibt es bei fünf Männern, die am Ende gänzlich egal geworden sind. Darin liegt dann vielleicht die einzige, unabsichtlich gelungene Wendung des Films.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/prey-2021