Wir Kinder vom Bahnhof Zoo (TV-Serie, 2021)

„We can be heroes…“

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Der erste Moment, der irritiert in der Neuauflage von "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo", steht gleich am Anfang. Wenn wir Christiane F. (Jana McKinnon) zum ersten Mal gemeinsam mit ihrer Mutter (Angelina Häntsch) sehen und später der Vater (Sebastian Urzendowsky) hinzukommt, dann braucht man eine Weile, bis man versteht, dass hier keine Freunde miteinander abhängen, sondern dass hier eine Familienszene gezeigt wird. Es ist die erste von vielen Irritationen, mit der die Serienadaption des Buchs aus dem Jahre 1976 und dessen Verfilmung aus dem Jahre 1981 (Regie: Uli Edel) auf ambivalente Weise auf sich aufmerksam macht. 

Wobei das nicht stimmt. Schon der äußerst bizarre Epilog, in dem wir Christiane F. einige Jahre nach den geschilderten Ereignissen an Bord eines Privatjets zusammen mit David Bowie sehen, dem sie bei einigen Turbulenzen beruhigend zuspricht, dass ihm nichts Schlimmes widerfahren werde, da sie unsterblich sei, ist ein Auftakt, der bereits die Richtung vorgibt, in die die Serienadaption in acht Teilen gehen wird: Die Authentizität, die Uli Edels Verfilmung einst auszeichnete, ist hier einem Willen zur Stilisierung, zur frei flottierenden Hyperbolik und zum Teil ins Extreme gedrehten Künstlichkeit gewichen. Ob das der Geschichte guttut, steht auf einem anderen Blatt. 

Die Serienbearbeitung des Buchs von Christiane Felscherinow, die Annette Hess für Amazon Prime besorgte und bei der Philipp Kadelbach Regie führte, nimmt sich nicht nur vom Look einiges an Freiheiten gegenüber der Vorlage heraus. Die acht Folgen mit einer Laufzeit von je rund 50 Minuten lassen ungleich mehr Raum für die Hintergrundgeschichten von Christiane und den anderen Mitgliedern ihrer Clique. Diese Backgrund-Stories finden sich nur teilweise in der Buchvorlage (übrigens das erfolgreichste Sachbuch der deutschen Nachkriegsgeschichte) wieder, sind also zum Gutteil reine Spekulation und pure Zuspitzung, die vor allem im Falle der Familiengeschichte von Christiane und Babette (Lea Drinda), aber auch bei Stella (Lena Urzendowsky, die kleine Schwester von Sebastian Urzendowsky) gerne mal über das Ziel hinausschießt. Immerhin bleibt die Serienfassung, was die Geschichte der eigentlichen Protagonistin Christiane angeht, recht nah an dem Auf und Ab aus Rausch, Prostitution und Entzug, erlaubt sich aber auch hier (etwa bei der Inszenierung des ersten Schusses von Christiane in der Garderobe von David Bowie) Extravaganzen, die vor allem ein zumindest recht fragwürdiges Ziel haben: das Ganze so gut und glamourös wie möglich aussehen zu lassen. 

Die Serienneuauflage von Wir Kinder vom Bahnhof Zoo ist eher lose in einem vagen zeitgeschichtlichen Zwischenraum verankert. Die Kostüme und die Ausstattung verweisen zwar auf die Entstehungszeit der Geschichte in den späten 1970ern in West-Berlin, doch zwischendrin erlauben sich die Macher*innen Freiheiten, die nicht immer gelungen sind und die manchmal wie kleine Unfälle oder Unachtsamkeiten wirken. Das wirkt bisweilen so, wie das berühmt-berüchtigte „Lieschen Müller“ sich heutzutage die wilden Siebziger vorgestellt haben dürfte: Da latscht Christianes Mutter in einer Szene mit neumodischen Veja-Sneakern durch die Wohnung, da sind im Sound eher Techno-Tracks zu hören, und David Bowie ist zwar allgegenwärtig, wirkt dann in persona aber wie ein müder Abklatsch des enigmatischen Popstars.

Dies und manche inszenatorische Tollpatschigkeit sorgen dafür, dass Wir Kinder vom Bahnhof an manchen Stellen fast wie eine Karikatur wirkt - und es ist kaum anzunehmen, dass genau das beabsichtigt war. Christianes Vater ist ein lächerlicher Hanswurst, die Ausstattung und Kostüme wirken so zusammengestellt, als befände man sich in einem 70er-Jahre-Themenpark (will man das wirklich?), und die Szene, in der Michi (Bruno Alexander) David Bowie (Alexander Scheer) höchstselbst am Stehpissoir begegnet („That’s the best part of the show“), ist einer von nicht wenigen Momenten, die man kaum aushält vor lauter Fremdscham. Hinzu kommen krude Szenenübergänge, gelegentlich aber auch Bilder von seltener Eindringlichkeit. So etwa wenn die Clique nach einem Trip buchstäblich über der Tanzfläche des Sounds schwebt. 

Diejenigen Zuschauer*innen, die Christiane F.s Buch noch aus der eigenen Jugend kennen, dürften an dem Serien-Remake in all seinem Stilisierungswillen wenig Freude haben. Und die Kids und Jugendlichen von heute haben - so ist zu vermuten - längst eigene Drogenerfahrungen, andere Codes und ein anderes Verständnis von Popkultur, die ja häufig genug auch mit dem Konsum von Drogen zu tun hat, und fragen sich womöglich: Wer ist eigentlich dieser David Bowie, von dem hier die ganze Zeit die Rede ist? 

Eine Entdeckung des Films ist zweifellos Lea Drinda als Babette alias Babsi. Während diese in der Verfilmung von Uli Edel keine zentrale Rolle spielt, sondern vor allem dazu dient, als „Berlins jüngste Drogentote“ für sensationalistische Momente zu sorgen, räumt die Serie ihr ungleich mehr Zeit ein. Sie ist eine der Figuren innerhalb der Serie, deren Geschichte einem am nächsten geht - was nicht unbedingt an der Glaubwürdigkeit des großbürgerlichen Milieus liegt, aus dem sie stammt, sondern vielmehr an Lea Drindas eindringlichem Spiel. 

So bleibt am Ende die Frage, ob diese Neuauflage wirklich eine gute Idee war und ob es keine besseren jetztzeitigeren Geschichten zu erzählen gibt, die auf die ganz realen Gefahren von Drogen für Jugendliche aufmerksam machen - ganz ohne popkulturelle Überhöhung und offensichtlicher Bewunderung des heroin chic, sondern mit mehr Gespür für authentische Milieus. 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/wir-kinder-vom-bahnhof-zoo-tv-serie-2021