Mary Bauermeister - Eins und Eins ist Drei (2020)

Hommage an die Frau in Weiß

Eine Filmkritik von Maria Wiesner

Manchmal verschmilzt Mary Bauermeister fast mit der Natur, die sie zu ihrer Kunst inspiriert. Die Frau, die als Künstlerin wie privat fast ausschließlich Weiß trägt, ist etwa zwischen den hellen Felsen einer Steilküste kaum zu erkennen. In weißem Pullover und Hosen sammelt sie Steine, stapelt sie zu kleinen Türmen, prüft manchmal durch Aneinanderschlagen ihren Klang, so als müssten die Töne, die sie ergeben, ihr Auskunft darüber erteilen, ob das Material für ihr Projekt geeignet ist. Dann nimmt sie einen Stock und beginnt, große geschwungene Linien in den Sand zu malen. Mit dieser ruhigen Szene des Sammelns, Prüfens und sich inspirieren Lassens, beginnt der Dokumentarfilm „Mary Bauermeister – Eins und Eins ist Drei“.

Die junge Regisseurin Carmen Belaschk hat Bauermeister über mehr als ein Jahr lang begleitet, intime Momente in ihrer Wohnung, beim Arbeiten, mit der Familie und auf einer Ausstellung in New York eingefangen. Vielleicht ist es nur konsequent, dieser Frau, die in den 1960er Jahren eine Kunstbewegung begründete, die heute den Namen Fluxus trägt, mit viel Ruhe zuzuschauen. Belaschk lässt sich ausgiebig Zeit, Orte im Detail zu erforschen. Die Kamera streift neugierig durch den Garten des großen Grundstücks, das Bauermeister seit Jahrzehnten bei Köln besitzt und dort Wohnung und Atelier miteinander verbindet. Überall hängen hier die Werke der Künstlerin, geschliffene Glasfiguren wehen an den Ästen im Wind, flache Steine bilden Pyramiden, die organisch zwischen den Pflanzen gewachsen scheinen.

„Künstlerisch war ich immer von einem Thema beseelt und dann ist alles Material, um kreativ etwas zu schaffen“, erklärt Bauermeister ihren Ansatz. Sie gewährt der Filmemacherin viel Freiheit bei den Aufnahmen, doch die lässt manchmal die Gelegenheit verstreichen, tiefergreifend mit der 85 Jahre alten Künstlerin über ihre Vergangenheit zu sprechen. So werden die Rückblicke in die Kindheit während des Zweiten Weltkriegs und erste Kunstaktionen während der 1960er Jahre in kurzen Sequenzen angerissen – manche mit Archivmaterial unterlegt, manche von Gregor Zootzky durch schwarz-weiße Zeichnungen animiert.

So wird etwa das Treffen zwischen Bauermeister und dem Avantgarde-Musiker Karlheinz Stockhausen nachträglich als romantische Begegnung in Köln ausgemalt. Die größere Geschichte, die dieses Treffen im Leben Bauermeisters ausmachte, dann jedoch nur in groben Strichen abgehandelt. Bauermeister fasst die Beziehung zu dem verheirateten Mann knapp zusammen: „Einige Jahre versuchten wir in einer Ehe zu dritt zu leben. Dann haben Doris und ich entschieden, dass es nicht geht.“ Die durchaus für die Biografie der Künstlerin wichtige Frage: Was bedeutete es für die junge Frau, die sich gerade als Künstlerin in New York etabliert hatte, sich in einen Mann zu verlieben, der neben seiner Kunst nicht viel Platz ließ – sie wird nur indirekt beantwortet. Auch hätte man sich manchmal noch etwas mehr Zeit für den Blick in die Kunstszene der 1960er, die Begründung der Fluxus-Bewegung als Kontrapunkt zur elitären „Museumskunst“ und etwas mehr Platz für eine Einordnung Bauermeisters in die Reihen der Künstler gewünscht.

Stattdessen entscheidet sich Belaschk ganz bei ihrer Hauptfigur zu bleiben, zieht einzig ihren Sohn Simon mit in die Handlung hinein. Mit seinem Auftritt wendet sich der Film mehr der Mutter-Sohn-Beziehung zu, schaut sich an, wie er, der lange mit dem Erbe des väterlichen Geniekults haderte und sich seiner Mutter erst in späten Jahren wieder angenähert hat, nun seine eigene Karriere als Musiker hintenan stellt und sich mehr um die Organisation der Werke seiner an Krebs erkrankten Mutter kümmert. Was zu teilweise unfreiwillig komischen Familienszenen führt, wenn sie einer alten Freundin neue Bilder vermachen will und er leicht genervt dazwischen geht: „Nein, Mama, das geht nicht, Du hast einen Vertrag mit der Galerie in New York.“ Und sie das mit einem lächelnden Schulterzucken kommentiert, als wolle sie sagen: „So ist das jetzt also, wenn man doch als Künstlerin in den Galerien landet.“

Sich Kunst mit dem Medium Film zu nähern, hat seine Tücken – kann man doch selten die physische Präsenz des Werks in einer Ausstellung abbilden. Der Dokumentarfilm findet seinen eigenen Zugang. Bauermeisters Sohn Simon Stockhausen übernimmt das Musik- und Sound-Design. So sind die langen detailverliebten Aufnahmen der Kunstwerke im Haus und Garten mit seinen silberklingenden Tonlandschaften verwoben und schaffen so eine Brücke zwischen dem Kunstschaffen der Mutter und der künstlerischen Hommage des Sohnes, wie es doch nur ein Film kann.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/mary-bauermeister-eins-und-eins-ist-drei-2020