In Berlin wächst kein Orangenbaum (2020)

Wenn der Vater mit der Tochter

Eine Filmkritik von Falk Straub

Kida Khodr Ramadan, 1976 in Beirut geboren und in West-Berlin aufgewachsen, hat in seiner Schauspielkarriere bereits unzählige Verbrecher verkörpert. Auch in seinem Regiedebüt, in dem er selbst die Hauptrolle übernommen hat, spielt er einen. Doch der erste Eindruck täuscht.

„Es ist so kalt. Es ist so kalt hier“, sagt eine Stimme aus dem Off. Sie gehört dem kleinen Nabil, der seinem besten Kumpel Ivo erklärt, warum in Berlin keine Orangenbäume wüchsen. Wie ein Mantra zieht sich diese Aussage durch den Film. Im Libanon geboren und in Deutschland ins falsche Umfeld geraten, hat Nabil so viel Gefühlskälte erfahren, dass er irgendwann zu einem Eisblock erstarrt. Ganz am Ende seiner Reise ist er, der das schlechte Wetter zeitlebens hinter sich lassen wollte, in der Berliner Sonne aufgetaut.

Das erste Mal begegnen wir Nabil (Kida Khodr Ramadan) beim Arzt. Nicht bei irgendeinem, sondern einer zynischen Gefängnisärztin (Brigitte Kren). Nabil ist 44 Jahre alt, saß davon die letzten 15 wegen Polizistenmordes ein und hat nicht mehr lange zu leben. Sein nicht minder zu Scherzen aufgelegter, aber eher dem Sarkasmus zugeneigter Pflichtverteidiger (Tom Schilling) stellt ihm eine vorzeitige Haftentlassung in Aussicht, die Nabil schließlich annimmt.

Nabils Weg führt direkt zu seiner Ex. Cora (Anna Schudt) lebt im Berliner Umland und sieht genauso heruntergekommen aus wie ihre vollgemüllte Wohnung. Nabil ist mit einer Entschuldigung im Gepäck gekommen und geht mit einer Tochter, die er nicht kennt. Juju (Emma Drogunova) will nur weg. Nabil ist ihr Ticket raus aus der provinziellen Enge. In der Weite Berlins trifft sie auf den hübschen Karl (Karim Günes) und auf Nabils hässliche Vergangenheit, die Ivos (Stipe Erceg) ausgemergelte Gesichtszüge trägt.

Eine Gangsterrolle machte Kida Khodr Ramadan bundesweit bekannt, einen Gangster spielt er jetzt auch in seinem Regiedebüt. Dass dieser Nabil Ibrahim ähnlich und doch anders tickt als Ramadans Ali „Toni“ Hamady aus der Fernsehserie 4 Blocks, macht das Drehbuch schnell klar. Ramadan hat es gemeinsam mit Juri Sternburg geschrieben und setzt darin auf eine unmittelbare Narration. Wer Nabil ist und was er (tatsächlich) getan hat, offenbart sich erst nach und nach. Dass er trotz seiner Verurteilung kein schlechter Typ sein kann, zeigt schon ein kurzes Zusammentreffen mit Knastneuling Mike, den Ramadans Kumpel Frederick Lau in einem kleinen Gastauftritt verkörpert.

Ramadans erste eigenständige Regiearbeit (davor führte er bereits Regie mit Til Obladen bei Kanun) ist mit Gastauftritten gespickt. Für den Part als Nabils Widersacher hätte sich der Debütant keinen Besseren aussuchen können als Stipe Erceg, der drahtig und fahrig wirkt und Ivos Aggressionen allein über Blicke vermittelt. Noch gelungener ist die Beziehung zwischen der Hauptfigur und seiner unverhofften Tochter. Ramadan und Nachwuchshoffnung Emma Drogunova, die unlängst in Bonnie & Bonnie glänzte, spielen sich erst behutsam, dann mitfühlend aneinander ab.

Drogunovas Energie hält den Film am Laufen, die Vater-Tochter-Beziehung hält ihn zusammen. Denn nicht jede Drehbuchentscheidung ist geglückt. Manche Konflikte sind zu gewollt, zu konstruiert und unglaubwürdig. Dass das nicht allzu sehr ins Gewicht fällt, hängt viel mit der Chemie des Ensembles zusammen. Am Ende ist Ramdan ein lockerer Mix aus Sterbe-, Einwanderer- und Familiendrama, Coming-of-Age- und Gangsterfilm geglückt – und seine Hauptfigur unter der Berliner Sonne angekommen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/in-berlin-waechst-kein-orangenbaum-2020