Der Unsichtbare (2020)

Besitzergreifend

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Auf die großen Pläne folgte das jähe Ende. Angespornt vom Erfolg der Marvel- und DC-Adaptionen wollte Hollywood-Riese Universal hauseigene Horrorklassiker in einer lose verbundenen Blockbuster-Reihe wiederbeleben. Doch schon mit „Die Mumie“, dem ersten Film des sogenannten Dark Universe, erlitt das ehrgeizige Vorhaben Schiffbruch. Negative Kritiken, bescheidene Einspielergebnisse und der anschließende Absprung der kreativen Strippenzieher ließen den Traum von einem gigantischen Monsterkosmos mit Superstarbesetzung platzen. Das Studio rang sich daraufhin zu einem Kurswechsel durch und verkündete, die Neuinterpretationen fortan in einem kleineren Rahmen aufzuziehen und für sich alleinstehende Werke in Auftrag zu geben. Leigh Whannells Scifi-Grusel-Mär „Der Unsichtbare“, die von H. G. Wells‘ gleichnamigem Roman und dessen Verfilmung aus dem Jahr 1933 inspiriert wurde, macht nun den Anfang.

Gibt es gerade im Horrorumfeld immer wieder Anlass, sich über uninspirierte Remakes aufzuregen, liegt der Fall hier etwas anders. Whannell, der als Drehbuchautor und Hauptdarsteller des genreprägenden Schockers Saw 2004 schlagartig Berühmtheit erlangte, greift einzelne Motive der Originalarbeiten heraus und bastelt damit eine eigenständige Geschichte zusammen, die einen interessierten Blick für die Folgen von häuslichem Missbrauch beweist. Dass die Beziehung der Protagonistin Cecilia Kass (Elisabeth Moss) bedrückend ist, unterstreicht schon der gespenstische, die Spannung gleich nach oben treibende Einstieg, bei dem der Zuschauer Zeuge ihrer nächtlichen Flucht aus der durchdesignten, an einer Meeresklippe thronenden Hightech-Villa ihres Partners Adrian Griffin (Oliver Jackson-Cohen) wird. Die umfassende Videoüberwachung und die hohen Mauern rund um das Anwesen zeugen von der Kontrollsucht des renommierten Wissenschaftlers, der auf optischem Gebiet als Koryphäe gilt.

Mithilfe ihrer Schwester (Harriet Dyer) kann Cecilia ihrem Gefängnis entkommen und findet Unterschlupf bei ihrem Jugendfreund (Aldis Hodge) und dessen Teenager-Tochter (Storm Reid). Erst als sie kurz darauf erfährt, dass ihr übergriffiger Ex Selbstmord begangen hat, kann sie das Haus verlassen und neue Selbstsicherheit gewinnen. Die Freude darüber, dass ein Großteil von Adrians Vermögen in ihre Hände fließt, währt allerdings nur kurz. Denn plötzlich mehren sich seltsame Zufälle, die Cecilia in der Annahme bestärken, der Tote habe sein Ableben nur inszeniert und rücke ihr nun zu Leibe.

Das von Whannell verfasste Drehbuch erzählt eine nicht sonderlich komplexe Stalking-Geschichte und schmückt diese mit vertrauten Horrorelementen aus. An einer Stelle betritt die Hauptfigur einen unheimlichen Dachboden. Ihr Umfeld glaubt lange nicht, dass sie weiter in Gefahr schwebt. Und irgendwann landet sie schließlich in der Psychiatrie. Einen interessanten Dreh bekommt das Ganze jedoch dadurch, dass die Bedrohung von einem Gegner ausgeht, der ein Verfahren entwickelt hat, sich unsichtbar zu machen. Seine perfide Annäherung an die zunehmend verängstigte Cecilia wird dankenswerterweise nicht mit groben Mitteln ins Bild gesetzt, sondern atmosphärisch arrangiert. In der ersten Stunde baut der Regisseur gekonnt ein sich langsam steigerndes Gruselszenario auf, das der inbrünstig aufspielenden Elisabeth Moss Gelegenheit bietet, die Auswirkungen einer toxischen, von Erniedrigung, Psychoterror und Machtdemonstrationen geprägten Partnerschaft herauszuarbeiten.

Die zweite Hälfte fällt im Vergleich etwas ab, kommt insgesamt ein wenig krawalliger daher und streift in den körperlichen Auseinandersetzungen mit dem unsichtbaren Widersacher manchmal die Grenze zur ungewollten Komik. Wie sich Cecilia gegen die Zweifel um sie herum und gegen einen kompletten Zusammenbruch stemmt, ist aber dennoch spannend zu beobachten – sofern man über kleinere Drehbuchungereimtheiten hinwegsehen kann. Die Wendung, mit der Whannell seinen Stalking-Horror beschließt, dürfte nicht für übermäßige Verblüffung sorgen, hinterlässt in ihrer garstigen Konsequenz allerdings durchaus Eindruck.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/der-unsichtbare-2020