Die weiße Massai (2005)

Afrika, Kontinent der Sehnsucht

Eine Filmkritik von Holger Lodahl

Spielfilme, deren Handlungsort in Afrika liegt, sind meist Garant für einen Kinoerfolg. Die Landschaft, die Tiere und die fremden Riten üben einen so großen Reiz aus, dass bereits die Bilder ausreichen, um einen Film erfolgreich werden zu lassen. Jenseits von Afrika hat einen Meilenstein gesetzt, und auch Caroline Links Nirgendwo in Afrika hat einen Gutteil seines Erfolges der Kulisse zu verdanken. Die problembeladene Handlung stand im Gegensatz zu den idyllischen Bildern und bot auf diese Weise den idealen Boden für einen faszinierenden Film. Bei Büchern ist das ganz ähnlich: Spielt ein Roman wenigstens teilweise in Afrika, ziert das Cover auch häufig eine untergehende Sonne, die die afrikanische Steppe in ein romantisches Licht taucht und Exotik, Erotik und Abenteuer verspricht, aber auch das Fernweh der meist weiblichen Leser weckt.

So war es auch bei Corinne Hofmanns Erlebnisbericht Die weiße Massai. Corinne Hofmann hat, so scheint es, es sich zur Lebensaufgabe gemacht, in jeder Talkshow von ihren Erlebnissen zu erzählen. Dankbar nahmen die Redakteure die gesprächige Autorin an, so dass kaum ein Fernsehzuschauer an ihr vorbeikam. Das durchaus interessante Buch ist ein Welterfolg und wurde in 16 Sprachen übersetzt.

Es ist eine logische Schlussfolgerung, dass aus diesem Stoff endlich auch ein Film entstanden ist. Das chronologisch geschriebene Buch mit seinen malerischen Ausführungen über die große Liebe, starke schöne Männer und fremden Riten der Massai lud geradezu dazu ein, als Film das Medium zu wechseln:

Corinne (Nina Hoss), die im Film nun Carola heißt, macht mit ihrem Freund (Janek Rieke) Urlaub in Kenia und sieht an ihrem letzten Tag den Massai Lemalian (Jackie Ido) in seiner traditionellen Kleidung. Sie ist so fasziniert von dem schönen Mann und seiner Ausstrahlung, dass sie sich kurzerhand entscheidet, in Kenia zu bleiben. Sie trennt sich noch am Flughafen von ihrem Freund, der seltsam nüchtern reagiert, und macht sich auf, Lemalian zu suchen, der inzwischen wieder in seinem Dorf Barsaloi lebt. Nach einer langen und anstrengenden Reise lernt sie die Deutsche Elisabeth (Katja Flint) kennen, die wegen eines Mannes in Afrika geblieben ist und Carola mit ihren Ratschlägen zu Seite steht. Carola trifft Lemalian und folgt ihm in sein Dorf. Trotz des harten Lebens und der Fremde beschließt sie, der Schweiz den Rücken zu kehren und für immer in Barsaloi zu bleiben. Sie baut sich ein neues Leben auf, obwohl sie mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hat: Die Beziehung zu Lemalian ist alles andere als romantisch, die kleine Hütte muss sie mit seiner Mutter teilen, ein korrupter Verwalter will geschmiert werden und der in der Nähe lebende Priester verweigert ihr jegliche Hilfe. Sie erkrankt an Malaria, muss die Beschneidung eines Mädchens mit ansehen und leistet bei einer dramatischen Steißgeburt nutzlose Hilfe.
Trotzdem heiraten Carola und Lemalian. Die Hochzeit verläuft nach den Riten der Massai – allerdings trägt die Braut ein weißes Hochzeitskleid, was dem Ereignis einen skurrilen Anblick verleiht. Carola wird schwanger, und sie beschließt, einen kleinen Laden zu eröffnen und verkauft Lebensmittel. Das Zusammenleben mit ihrem Mann ändert sich: Er wird zunehmend eifersüchtig, beginnt zu trinken und fühlt sich mehr und mehr von seiner erfolgreichen Frau unter Druck gesetzt. Carola entscheidet sich, das Land und ihren Mann zu verlassen – heimlich, da Lemalian sie nicht gehen lassen würde. Ihr Mann ahnt, dass sie nicht wiederkommen würde und verweigert ihr seine Einwilligung. Schließlich kann Carola mit ihrer Tochter das Land doch verlassen.

Regisseurin Hermine Huntgeburth weiß, wie man mit Kino-Bildern afrikanischer Landschaften bezaubern kann. Besonders zu Beginn des Filmes fängt die Kamera Bildern ein, die man von einem Film, der in Kenia spielt, erwartet. Landschaften, Flüsse, Märkte voller Menschen, und schließlich fokussiert die Kamera Lemalian, und man versteht, warum sich Carola von dem schönen Massai verzaubert fühlt. Casting und Maske haben ganze Arbeit geleistet: Jacky Ido als Lemalian ist der Inbegriff des schönen Kriegers. Doch leider hält Die weiße Massai nicht, was der Film zu Anfang verspricht.

Die Handlung umfasst vier Jahre, in denen Carola mit dem völlig fremden Leben, der fremden Kultur leben lernen muss. Dem Zuschauer werden daher auch alle Aspekte präsentiert, mit denen sich die Europäerin auseinander setzen muss: Die Kamera zeigt die Riten, von denen man allenfalls mal gelesen hat: So trinkt Lemalian das Blut aus dem Hals einer gerade getöteten Ziege; die rituellen Waschungen sind streng getrennt zwischen Frauen und Männer, und das Sexualleben ist ganz auf Männer ausgerichtet. „Frauen bedeuten hier nicht viel, sie kommen gerade nach den Hunden“ sagt Elisabeth zu Carola, und die Bilder des ersten Geschlechtsaktes zeigen dies: „Das erste Mal“ mit ihrem Geliebten könnte kaum unromantischer und erniedrigender für Carola sein. Das Geschlechtsleben des Paares nimmt viel Raum des Filmes ein, weil es zeigt, wie sehr Carola ihren Mann und dessen Ansichten verändert. Während der erste Sex kaum anders ist als die Paarung von Hunden führt Carola ihren Mann in die gleichberechtigte körperlicher Liebe ein. Sie bringt Lemalian soweit, dass er sie vor anderem Menschen küsst – obwohl in der Tradition der Massai Berührungen kaum akzeptiert sind. Der Focus des Filmes richtet sich auf Carola, die ihren Mann und dessen Leben mehr und mehr verändert, bis er daran zu zerbrechen droht. Mit einer starken Frau, die das Auto fährt, das Geschäft führt und schließlich Ernährerin der Familie ist, kann er nicht konkurrieren. Dass er mit Aggressivität, Alkoholkonsum und Eifersucht reagiert ist da nur logisch. Das ist eines der Probleme des Filmes: Man fragt sich als Zuschauer, warum Carola nicht mehr Verständnis für die Gefühle ihres Mannes aufbringt und statt dessen den Wutausbrüchen voller Fragen gegenüber steht. Sie hat sich in einen stolzen Krieger verliebt, ist ihm in sein Leben gefolgt und tauscht dann die Rolle mit ihm – das muss zu Konflikten führen. Carolas wenige Erklärungsversuche ihrem Mann gegenüber bleiben zu oberflächlich, um Verständnis, Mitleid oder ein anderes Kinogefühl zu wecken.

Auch an anderen Stellen bleibt die Handlung an der Oberfläche stecken: Hermine Huntgeburth hat sich dazu entschlossen, Carola mit dem vieldiskutierten Thema der Beschneidung junger Mädchen zu konfrontieren. Die Szene, in der die Großmutter die Rasierklinge auspackt und sich über das Mädchen beugt lässt das Publikum aufschaudern – in TV-Dokumentationen ist das Thema hinreichend diskutiert worden, so dass viele Zuschauer/innen über dieses Ritual informiert sein mögen. Doch weiter als bis zu einem gewissen Grauen geht Huntgeburth nicht – die Szene hat keinerlei nachvollziehbaren Auswirkungen auf Carolas Handeln und gerät daher in den Hintergrund. Auch die dramatische Steißgeburt der Eingeborenen und die verweigerte Hilfe der Umstehenden („Sie ist verhext!“) veranlasst Carola nicht, auf derartige Ereignisse langfristig zu reagieren. Statt dessen besinnt sie sich auf ihren Beruf und eröffnet den Lebensmittelladen, motiviert von ihrer Schwangerschaft, um besser ernährt zu sein.

Der Film Die weiße Massai zeigt die Akteurin daher als egoistische Person. Das abrupte Ende der Beziehung zu ihrem Freund, ihre Eingriffe in das Leben und die Kultur ihres Mannes, der Laden als eigene Ernährungsquelle und das unangemessene Tragen des weißen Hochzeitskleides während der traditionellen Zeremonie – Carola tut dies alles zum Selbstzweck. Sie tut dies auch aus Liebe zu Lemalian, aber der Film versteht es nicht, ihre Geschichte als das dramatische Scheitern von Liebe und Vertrauen darzustellen. Stattdessen findet man Punkte, an denen sich Carolas Handeln als kritikwürdig erscheint.

„Vieles hat sich verändert, und es ist traurig mit anzusehen, wie diese Kultur verschwindet. Ich glaube nicht daran, dass sie überdauert. Diese fröhlichen, offenen, kommunikativen Menschen, die unserer Zivilisation auch langsam anheim fallen und die vielleicht eines Tages auch mehr besitzen werden, aber nicht mehr miteinander sprechen und ebenso traurig dasitzen wie wir – das zu sehen tut schon sehr weh“ sagt Corinne Hofmann in einem Interview. Ihre Zeit in Afrika hat genau dazu beigetragen, was sie in diesen Worten bedauert – und der Film untermauert eher die Kritik an ihrem Tun als dass er unterhält und Spannung erzeugt.

Hermine Huntgeburth hat in ihre Karriere vielfach erfolgreiche Arbeiten fürs Fernsehen (Der Hahn ist tot; Eva Blond) hergestellt – ihre Ausflüge ins Kino wurden (mit der Ausnahme von Bibi Blocksberg) nicht von Erfolg gekrönt. Nina Hoss als Carola ist zwar eine der besten Schauspielerinnen Deutschlands, wird aber mit TV-Filmen (Das Mädchen Rosemarie) oder brillanten Theaterinszenierungen (Don Carlos; Emilia Galotti) in der Verbindung gebracht. Katja Flints Rolle wirkt etwas blass, und man fragt sich, ob die Rolle der Elisabeth wirklich Sinn macht. Es überrascht daher nicht, dass diese Version von Die weiße Massai als Filmereignis scheitert.

Die weiße Massai würde als TV-Film der Woche ein Millionenpublikum interessieren, als Kinoereignis kommt er nicht über das Mittelmaß hinaus.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/die-weisse-massai