Wüstenblume

Vom afrikanischen Nomadenmädchen zum internationalen Topmodel

Eine Filmkritik von Katrin Knauth

Das Kino liebt gute Geschichten. Was liegt da näher als eine zu nehmen, die bereits Tausende von Lesern berührte. Es ist eigentlich ein Wunder, dass bis jetzt noch niemand Waris Diries Autobiografie Wüstenblume für die Leinwand adaptiert hat. Sherry Hormann, die man hauptsächlich als Regisseurin von Komödien wie Irren ist männlich (1996) und Männer wie wir (2004) kennt, hat sich Diries Bestseller nun vorgenommen und daraus ein spannendes Drama gedreht.
Das Buch muss man nicht gelesen haben, um den Film zu verstehen. In zwei Stunden wird minutiös das Schicksal der aus der Wüste geflohenen Nomadin erzählt, die nach unendlich vielen Rückschlägen und Hürden als Topmodel auf den Titelbildern der Modemagazine und den internationalen Laufstegen landet. Waris Dirie (Liya Kebede) war damals gerade 13 Jahre alt, als sie von ihrer somalischen Familie vor einer Zwangsheirat flüchtet. Tagelang irrte sie barfuss, ohne Wasser und Essen, durch die Wüste bis sie völlig erschöpft bei ihrer Großmutter in Mogadischu landet.

Der Film erzählt Waris Diries Geschichte, deren somalischer Vorname „Wüstenblume“ bedeutet, in zahlreichen Rückblenden. Von der kargen Wüste geht es direkt ins hektische Londoner Stadtleben, wo sie zunächst bei der somalischen Botschaft ihr Dasein als Hausangestellte hinter Gittern fristet. Als bei Ausbruch des Bürgerkriegs in ihrer Heimat die Botschaft geschlossen wird, taucht sie in London unter. Aus reiner Verzweiflung hängt sie sich an die Top-Shop-Verkäufern Marilyn (großartig: Sally Hawkins aus Happy-Go-Lucky), die sie vorübergehend aufnimmt.

Dirie ist inzwischen eine erwachsene junge Frau, aber noch naiv wie ein kleines Kind. Noch immer fremd und illegal in der Stadt, versucht sie sich mit Putzjobs in Fast-Food-Restaurants über Wasser zu halten. Bis ihr eines Tages der berühmte Modefotograf Terry Donaldson (Timothy Spall) über den Weg läuft und ihr Gesicht entdeckt. Von da an wäre alles so einfach, wäre sie keine illegale Einwanderin. Doch für alles gibt es eine Lösung und erst Recht mit dem nötigen Kleingeld, dass ihr von ihrer geschäftstüchtigen Agentin Lucinda (Juliet Stevenson) zugeschaufelt wird.

Als sie es endlich geschafft hat und auf dem Höhepunkt ihrer Model-Karriere angekommen ist, fängt der zweite Teil des Films an. In einem Interview mit einer Redakteurin der Zeitschrift Marie Claire erzählt sie, wie sie als kleines Mädchen beschnitten wurde. Weil noch niemand vor ihr so offen über das grausame Ritual gesprochen hatte, löste Dirie damit weltweit eine Welle von Mitgefühl, Schock und Protest aus. UN-Generalsekretär Kofi Annan ernennt sie zur UN-Botschafterin. Im Auftrag der UNO reist sie fortan um die Welt, um auf zahlreichen Konferenzen über das bisherige Tabu-Thema Beschneidung zu sprechen. Der Zuschauer darf mitleiden. Vorwarnung: Es wird unangenehm, wenn der Film auf das Ritual zurückblendet, dass sie damals als fünf Jahre junges Mädchen erlitten, aber alles andere als verstanden hat.

Dass Wüstenblume von der ersten bis zur letzten Minute fesselnd ist, liegt nicht zuletzt daran, dass er auch visuell beeindruckend ist. Für die Bilder zeichnet Ken Kelsch verantwortlich, der schon mehrfach bei Abel Ferrara (z.B. Bad Lieutenant von 1992) hinter der Kamera stand. Er weiß die raue Wüste genau so gut einzufangen wie den Glamour der Modelwelt, das bunte Treiben in den Städten New York und London und die Hässlichkeit der miesen Absteigen, in denen sich Dirie anfangs herumtreibt.

Alles schön und gut. Der Film hat nur ein Problem: Er wirkt so voll gestopft, dass es an allen Ecken und Kanten überläuft. Liegt es an der Geschichte, die so faszinierend ist, dass es ans Unglaubwürdige grenzt? Hätte Sherry Horman lieber ein Paar Details aussparen sollen? Das hätte dem Film garantiert gut getan. Man bewundert diese Waris Dirie, aber gleichzeitig fragt man sich, wie das alles möglich sein kann. Nervig ist auch der Subplot mit dem New Yorker Harold (Anthony Mackie), den sie einst in einem Londoner Club kennen lernt und Jahre später in New York wieder aufsucht. Diese Art von "love story" in den Film hineinzuquetschen, wäre nicht nötig gewesen. Auch bei einem deutschen Film ist ein Hauch Hollywood-Kitsch offensichtlich nicht zu vermeiden gewesen. Davon abgesehen, ist es ein richtiger guter Film.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/wuestenblume