Zwischen den Stühlen

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Lehren lernen

„Dieser Film ist ein Loblied auf die Schule, aber es ist möglich, dass die Schule es nicht merkt.“ Was dem Pauker-Schüler-Filmklassiker Die Feuerzangenbowle (mit Heinz Rühmann in der Titelrolle) als Zitat vorangestellt wurde, gilt auch 2017 noch für Jakob Schmidts bezaubernde Langzeitdokumentarfilmstudie Zwischen den Stühlen über drei junge Lehrer-Lehrlinge, kurz: Referendare im deutschen Bildungsdschungel.
Ralf ist einer von ihnen: Als sichtlich wissbegieriger Lehramtskandidat mit einer natürlichen Autorität in den Gesichtszügen, versucht der Berliner einen weiteren Neuanfang in seinem Leben: „Nach vierzig Jobs in zehn Jahren“. Einst musste er selbst gleich mehrere Ehrenrunden drehen, was seiner alleinerziehenden Mutter damals den letzten Nerv kostete, heute steht er selbstbewusst vor einer Gymnasialklasse und übersetzt sein persönliches Engagement in unmissverständliche Worte: „Es wird blaue Briefe regnen!“ Doch wird er dem Druck der Prüfungskommission standhalten? Sein zuständiger Direktor erzählt ihm heute schon von vielen „Berufzynikern“ in diesem Business, um im nächsten Moment sogleich auf zerbrochene Ehen hinzuweisen: Das soll also wirklich (s)ein Traumjob sein?

„Ruhe – jetzt!“, muss Katja dagegen gleich mehrfach pro Stunde in ihre Klasse hineinrufen, nein: brüllen! Scheinbar egal, ob sie nun von den Errungenschaften der modernen Seefahrt erzählt oder irgendwann einfach nur noch schweigt: Sie muss an ihrer Gesamtschule richtig kämpfen, das steht schnell fest. Mit den notorischen Krawallmachern „Jeremie“ und „James“ im täglichen 45-Minuten-Rhythmus, aber nicht minder mit ihren eigenen Ängsten. Kann ich das und will ich das überhaupt mehrere Jahre lang machen? Begeisterung für das eigene Tun sieht anders aus. Dazu nicht selten die Frage im Hinterkopf: Was wohl die Kollegen wieder von einem halten? „Manchmal weiß ich kaum, was ich machen soll“ schreibt sie einmal – besonders sinnträchtig – während des Unterrichts an die Tafel, den Rücken zu ihrer Klasse gewandt.

Genau jene regelmäßig auftretenden Versagensängste kennt auch die dritte der sorgsam ausgesuchten ProtagonistInnen in Zwischen den Stühlen: Anna. Mit ihrer unaufdringlichen Art scheint sie im ersten Augenblick exakt die richtige zukünftige Lehrerin für eine Grundschulklasse zu sein. Doch ihre mangelnden Rhetorik-Skills sowie ihr persönliches Hadern mit dem aktuellen Schulsystem in Deutschland stehen ihr deutlich im Weg. Oft stockt ihr plötzlich die Stimme, absolut spürbar bleibt ihre Aufregung vor den jeweiligen Seminarlehrern – trotz vieler bereits erfolgreich absolvierter Lehrstunden. Es scheint ein Teufelskreis zu sein, weshalb sie sich – in einer der skurrilsten Szenen dieses zwar etwas zu langen, aber in jedem Falle absolut unterhaltsamen Dokumentarfilms – Rat von außen holt: Besser gesagt von einem halbseiden scheinenden Rhetorik-Profi, der der angehenden Lehrerin in seiner vollgestellten „Villa Stöckrath“ kurzerhand Extra-Unterricht erteilt. Anna setzt feierlich an: „Der Apfel …“. Pause. „Ist ein heimisches Obst“, fügt sie im zaudernden Hamlet-Ton hinzu. Pause. Nein, so wird das (noch) nichts: Das kann wirklich jeder sehen – und gleichzeitig hören.

Trotzdem führt Jakob Schmidt sie hier keineswegs vor, ganz im Gegenteil: Er blickt schlichtweg besonders genau hin, denn er interessiert sich tatsächlich für jeden kleinen Fortschritt im (Praxis-)Leben seiner behutsam begleiteten Lehrer in spe. Nach einem Jahr Projektentwicklung, mehreren Protagonisten-Castings und manchem Zwist zwischen den einzelnen Drehteams und der jeweiligen Schulleitung folgt der junge Regieabsolvent der Potsdamer Filmuniversität Konrad Wolf am Ende jenen drei „halben Lehrern“, wie sie sich selbst vieldeutig nennen, über insgesamt drei Jahre. Und zugleich mitten hinein in ein Metier, das das Würzburger „Lehrerkind“ Jakob Schmidt selbst nur allzu gut von zu Hause her kennt: Dem täglichen Pauken, Vorbereiten, Nachbereiten, Noten vergeben, Lehrpläne abgleichen und so weiter und so fort. Genauso aber taucht er auch, zum Wohle des Films, in die täglichen Motivationsschübe dieser Kandidaten wie in ihre Ängste vor dem totalen Scheitern und der großen Panik vor der Prüfungskommission ein. Das lässt Zwischen den Stühlen alles in allem aus den derzeitig inflationär startenden Dokumentarfilmen im Umfeld von „Schule und Bildung“ positiv hervorstechen.

Denn was thematisch in einem klassisch politisch motivierten Dokumentarfilm sicherlich recht bald in eine offen systemkritische – vielleicht aber ebenso dröge – Form hätte münden können, umgeht Jakob Schmidt erzähltechnisch immer wieder sehr geschickt. Seine Waffe als Autor heißt Humor, die das viele Fachgesimpel um „Vornoten“, „Sekundärliteratur“ oder „Seminarleiter“ für den Zuschauer angenehm locker entzerrt, in den besten Szenen sogar ironisch entzaubert, wozu im Besonderen auch Julia Wiedwald lustig-flotte Montagen und Andreas Bicks an Kinderlieder erinnernder Musik-Score entschieden beitragen: Da verwandelt sich Zwischen den Stühlen dann sogar kurzzeitig in Die Feuerzangenbowle.

Zwischen den Stühlen

„Dieser Film ist ein Loblied auf die Schule, aber es ist möglich, dass die Schule es nicht merkt.“ Was dem Pauker-Schüler-Filmklassiker „Die Feuerzangenbowle“ (mit Heinz Rühmann in der Titelrolle) als Zitat vorangestellt wurde, gilt auch 2017 noch für Jakob Schmidts bezaubernde Langzeitdokumentarfilmstudie „Zwischen den Stühlen“ über drei junge Lehrer-Lehrlinge, kurz: Referendare im deutschen Bildungsdschungel.
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Meinungen

Gaby Stein · 18.05.2017

Möchte ihn unbedingt mit meiner Tochter sehen, da sie gerade im zweiten Referendar Jahr ist in 3 Wochen Prüfung hat und mit den Nerven völlig fertig ist...Vielleicht kann er sie erheitern, er liest sich jedenfalls super und wir werden ihn auf jeden Fall anschauen!!!