Zum Vergleich

Eine Filmkritik von Silvy Pommerenke

Vom Produktionsprozess des Lehms und der Entfremdung

Harun Farocki begibt sich auf die Spur der Ziegelsteine und stellt einen nonverbalen Vergleich an: Während in Afrika alles von Menschenhand in Zeitlupentempo von statten geht, lassen sich die Arbeiter in Indien bereits von Maschinen – wenn auch antiquierten – unter die Arme greifen und in Europa sucht man fast vergebens nach menschlichen Arbeitskräften, da hier alles von Robotern und Maschinen übernommen wird.
Fast hat man das Gefühl, dass die Menschen in Burkina Faso, obgleich die Arbeit ungleich härter ist, weil ihnen hilfreiche Maschinen nicht zur Verfügung stehen, wesentlich mehr Freude an der Arbeit haben, als der gelangweilte deutsche Arbeiter, dessen einzige Aufgabe es ist, auf Monitoren den Produktionsprozess der Maschinen zu kontrollieren. Absurderweise trägt dieser Schutzkleidung und festes Schuhwerk, während die Afrikaner und Inder mit übergroßen Gummistiefeln, Flip Flops oder gar barfuß die körperlich schwere Arbeit erledigen. Dort tummeln sich überall Kinder herum, bestaunen die Tätigkeit ihrer Eltern und helfen sogar mit. Die ganze Dorfgemeinschaft packt mit an, um Ziegelsteine zu formen, zu brennen und anschließend zu verarbeiten. Dabei wird gesungen und rhythmische Trommeln begleiten die Frauen, die den Boden des neuen Schulhauses feststampfen. Gnadenlos schwere Lasten werden auf den Köpfen transportiert, von Arbeitsschutz hat man hier wohl noch nie etwas gehört, und auch die Zivilisationskrankheit Bandscheibenvorfall scheint hier ein Fremdwort zu sein. In Indien bedienen die Arbeiter mühsam Maschinen aus den 1930er Jahren, das Lächeln der Afrikaner sucht man vergebens auf deren Gesichtern, und auch hier sind es die Frauen, die schwerste Lasten auf ihren Köpfen transportieren. Kopfarbeit bekommt somit eine völlig neue Bedeutung. In Frankreich werden zwar keine Lasten mehr auf den Köpfen getragen, aber dass die Ziegelei ausschließlich durch marokkanische Hilfskräften lebt, die Maschinen aus dem Jahr 1945 bedienen, hinterlässt ein merkwürdiges Gefühl.

Harun Farocki erzählt eine Geschichte der unterschiedlichen Produktionsformen von Ziegelsteinen, enthält sich vermeintlich einer Wertung, und doch stellt der Zuschauer unweigerlich einen Vergleich der unterschiedlichen Arbeitstechniken und Gesellschaftsformen an. Zwangsläufig geschieht das, weil sich durch die Anordnung der Bilder eine Chronologie von der traditionellen über die früh- bis hin zur hochindustriellen Gesellschaft ergibt. Das Diktum von Marx über die Entfremdung der Arbeit schwingt unweigerlich in den Bildern mit, denn die Menschen in Burkina Faso sind von der Rohproduktion bis hin zur Endverarbeitung an dem Arbeitsprozess beteiligt, während in Europa kaum eine menschliche Hand das Produkt berührt. Die Vermutung liegt nahe, dass die einen kein bzw. nur geringes Entgelt für ihre Arbeit erhalten, während die anderen mit Sicherheit Lohn und Tarifurlaub bekommen. Das sind Interpretationen, die sich dem Zuschauer aufdrängen, aber von Farocki nicht explizit benannt werden. Einen Erzählerkommentar gibt es nicht zu den Bildern, lediglich kurze Texttafeln informieren, an welchem Ort sich das Filmteam befand und welcher Arbeitsprozess gerade eingefangen wurde. Somit lässt der Filmemacher dem Zuschauer viel Raum, sich ganz auf die Bilder zu konzentrieren, auf die „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“. Denn zu groß sind die Differenzen der Produktionsformen, auch wenn sie zeitgleich stattfinden.

Farocki, seit 2006 Professor an der Akademie der bildenden Künste in Wien, Regisseur und Produzent von zahllosen Filmen, Kurator und Installationskünstler, hat mit Zum Vergleich einen Lehrfilm und zugleich ein Kunstwerk geschaffen, das Sichtbar-Konkretes auf ungewöhnliche Art miteinander verbindet, so dass etwas Unsichtbares durchschimmert. Ganz im Stile alter Schulfilme vermittelt er auf der einen Seite die unterschiedlichen Produktionsmethoden von Ziegelsteinen, und lädt auf der anderen Seite dazu ein, einen Vergleich anzustellen, zu dem der Filmtitel bereits auffordert. Aber eines ist gewiss: Man wird nie wieder Ziegelsteine auf Baustellen ansehen können, ohne dass die Bilder des Filmes vor dem inneren Auge erscheinen.

Zum Vergleich

Harun Farocki begibt sich auf die Spur der Ziegelsteine und stellt einen nonverbalen Vergleich an: Während in Afrika alles von Menschenhand in Zeitlupentempo von statten geht, lassen sich die Arbeiter in Indien bereits von Maschinen – wenn auch antiquierten – unter die Arme greifen und in Europa sucht man fast vergebens nach menschlichen Arbeitskräften, da hier alles von Robotern und Maschinen übernommen wird.
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