Zerrumpelt Herz

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Ein poetisches Klanggedicht

Eine Geschichte nach dem Buch von Emma Reubke-Schiffmann über ihren Ex–Gatten Otto erzählt dieser Film, so benennt es eine Einblendung zu Beginn, und nach den Tagebüchern von Wilhelm Krück, der, wie wir sehen, leibhaftig dabei war. Eine Ansage, die den Auftakt bildet zu einem der großartigsten Filme, die das deutsche Kino in den letzten Jahren hervorgebracht hat; zumal dies ein Debütfilm ist.
Regisseur Timm Kröger hatte zunächst schlicht den Titel im Kopf, Zerrumpelt Herz, in dem der ganze romantische Weltschmerz komprimiert drinsteckt. Die Ausläufer der mystischen modernen Musik in den 1920er Jahren interessierten ihn; ein Dokumentarfilm aber – dies sein Studiengang an der Ludwigsburger Filmakademie – war bei diesem Sujet nicht drin. Fiktion also; und was für eine. Ein Spielfilm, nein: eine filmgewordene polyphone Partitur, in der sich Musik und Bild, Mystik und Zeitporträt, Genialität und Wahnsinn verbinden zu einer synästhetischen Symphonie.

Drei Menschen im Wald, der real ist und zugleich märchenhaft, unterwegs zu einer Waldhütte, wo sich seit Wochen schon der Komponist Otto Schiffmann verkrochen hat, der in der Natur der Wälder die Inspiration für sein großes Werk, für eine grandiose Symphonie sucht. Und der im Rauschen der Blätter, im Gesang der Vögel, im Klang der Schöpfung das heraushört, was nun, auf Papier gebracht, sein Freund Paul Leinert bewerten soll, denn der Wahnsinn ist dem genialen Geist Schiffmanns schon ganz nah. Anna, Pauls junge Frau, ist dabei, und Wilhelm Krück, der Freund aus Berlin, aus tiefer geistiger Verbundenheit heraus. Krück freundet sich gleich bei der Ankunft mit Schiffmanns Hund an, den dieser allein in der Hütte gelassen hat – denn der Komponist ist verschwunden, seit Tagen offenbar. Nun heißt es suchen und warten. Und fotographieren – Krücks Hobby; sowie den Klängen der Partitur nachspüren, eine Melodiefragment geht Paul nicht mehr aus dem Kopf, er sucht es im Gesang der Vögel…

Mehr und mehr werden alle gefangen von dem mythischen Geheimnis des Waldes, bei den langen Wanderungen, bei den Abenden in der Hütte. Die Tage in der Einsamkeit umfangen sie mehr und mehr, und weniger wissen als ahnen sie, wie der sensible Schiffmann auf das Geheimnis dieser Bäume, dieser Tiere, dieser Natur reagieren musste.

Es passiert nicht viel; und es passiert viel mehr als in vielen anderen Filmen. Das Innerliche nicht sichtbar und dabei doch spürbar zu machen, das gelingt Timm Kröger auf geradezu erstaunliche Weise – und diese merkwürdige Stimmung dreier Menschen in der Natur auf den Zuschauer zu übertragen, mit einfachen Mitteln der Ausstattung eine vergangene Epoche aufleben zu lassen, ein Mysterium des Spirituellen anzudeuten, ohne direkt darauf zu stoßen: eine Sensibilität der Inszenierung ist da zu spüren, die ganz außerordentlich ist. In langen Fahrten gleitet die Kamera mit den Protagonisten in die Baumwelten hinein, majestätische Symphonieklänge führen hin zum Schnittpunkt zwischen Geist und Seele. Der Grundklang der Natur, den Schiffmann sucht, wird gegenständlich in diesem Film. Und das Gegenständliche transzendiert in die Musik, ins reine spirituelle Abstraktum.

Ein poetisches Klanggedicht ist dieser Film; und was am Ende Wahrheit, was Tatsächliches, was erfunden und was erspürt ist: Das ist in der Erhabenheit vollkommen unwichtig.

Zerrumpelt Herz

Eine Geschichte nach dem Buch von Emma Reubke-Schiffmann über ihren Ex–Gatten Otto erzählt dieser Film, so benennt es eine Einblendung zu Beginn, und nach den Tagebüchern von Wilhelm Krück, der, wie wir sehen, leibhaftig dabei war. Eine Ansage, die den Auftakt bildet zu einem der großartigsten Filme, die das deutsche Kino in den letzten Jahren hervorgebracht hat; zumal dies ein Debütfilm ist.
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Meinungen

Czwienk Juergen · 12.06.2015

Ein wunderbarer Film. Aus der Zeit gefallen.