Win Win

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Von Verlierern und Gewinnern

Manchmal schlägt das Leben ganz unerwartet zu und knallt einem einen Schuss vor den Bug, der deutlich anzeigt, dass man sich auf dem falschen Weg befindet, dass man irgendwo eine falsche Abzweigung genommen und sich verrannt hat. Davon kann auf ganz wörtliche Weise auch der engagierte Anwalt Mike Flaherty (Paul Giamatti) aus New Jersey einiges berichten. Ihn trifft es unvermutet auf einer Jogging-Runde mit seinem Freund Terry (Bobby Cannavale). Plötzlich wird ihm schlecht, er kann sich kaum auf den Beinen halten, sinkt zu Boden, während Terry immer mehr in Panik gerät und vor lauter Aufregung sein Handy als einzigen Kontakt zur Außenwelt im neben dem Weg verlaufenden Bach versenkt. Auch als Zuschauer ist einem schnell klar, dass Mike ofensichtlich gerade einen Herzinfarkt erleidet – genau so haben wir uns das immer vorgestellt. Was eigentlich ein klassischer Schlusspunkt wäre, ist aber erst der Beginn, ein erstes Symptom für ein Leben, das außer Balance geraten ist. Und deshalb entpuppt sich der vemeintliche Infarkt dann auch schnell als harmlos. Dennoch: ein Zeichen ist gesetzt.
Die Ursachen für den stressbedingten Zusammenbruch Mikes erfährt man schnell, es ist die allgemeine Unsicherheit in den Zeiten nach dem verheerenden Börsencrash und die schweren Rezension, die Amerika vor kurzem erschütterte: Die Anwaltspraxis läuft nicht gut, im Keller des Hauses gibt der Heizungskessel seltsam bedrohliche Geräusche von sich und müsste dringend repariert werden, doch das nötige Geld ist nicht vorhanden. Längst hat die ökonomische Krise, die lähmende Angst vor dem finanziellen Abstieg auch Amerikas Mittelschicht erreicht, für die Mike und seine Familie stehen. Da auch das Ringerteam, das er ehrenamtlich betreut, von Niederlage zu Niederlage taumelt, verdichten sich so die Anzeichen für Mike, dass er sich auf der Verliererstraße befindet. Zugleich aber versucht er sich natürlich mit allen Mitteln gegen das eigenen Scheitern zu wehren. Und so lässt sich der eigentlich herzensgute Mann zu einem schmutzigen kleinen Trick hinreißen, um den Status der Familie zu sichern. Vor Gericht schafft er es, gegen Bezahlung zum Vormund des dementen Leo Poplar (Burt Young) ernannt zu werden, indem er sich gegen dessen Unterbringung in einem Altenheim wehrt, nur um den verwirrten alten Mann nach geglückten Coup doch in eine solche Einrichtung abzuschieben. Zum Glück bemerkt niemand den kleinen Betrug, dennoch schwebt Mikes Fehlverhalten wie ein Damokles-Schwert über ihm und nagt an seinem bis dahin guten Gewissen.

Das bekommt zudem noch Nahrung dadurch, dass Leos Enkel Kyle (Alex Shaffer) eines Tages vor der Tür steht. Der Junge ist gerade vor seiner drogenabhängigen Mutter geflüchtet und will nun lieber bei seinem Großvater leben, was nun nicht mehr geht. Gegen die Bedenken seiner Frau nimmt Mike den Jungen bei der Familie auf und entdeckt schließlich, dass der auf den ersten Blick unzugänglich und abweisend wirkende Kyle über ein außerordentliches Talent im Ringen verfügt. Und wäre der Junge nur ein bisschen disziplinierter und würde nicht immer wegen eklatantem Fehlverhalten aus den Teams fliegen, könnte er es auf der Ringermatte weit bringen. Weil Mike nun die Chance für sein schwächelndes Team wittert und auch ein wenig deshalb, weil er ein schlechtes Gewissen hat, trainiert er eisern mit Kyle – die beiden freunden sich miteinander an. Bald schon steht aber Kyles Mutter (Melanie Lipsky) vor der Tür, um nicht nur ihren Sohn, sondern auch ihren Vater zu sich nach Hause zu holen, so dass sowohl Mikes Trick mit der Pflegschaft wie auch seine Hoffnung auf Ringermeisterschaft seines Teams ernsthaft gefährdet sind…

Dass Mike Flaherty dabei so unglaublich authentisch wirkt, liegt nicht allein an Paul Giamatti, sondern auch an den Hintergründen, wie die Story entstanden ist. Thomas McCarthys Co-Autor Joe Tiboni ist ein alter Freund des Regisseurs und wie Mike Flaherty Anwalt in New Providence, New Jersey, wo auch die Handlung des Films spielt. Sein Schwerpunkt liegt auf dem Gebiet der Seniorenbetreuung und -beratung. Außerdem waren McCarthy und Toiboni beide während ihrer High-School-Zeit im Ringer-Team der Schule aktiv.

Es sind Parallelen wie diese, Anker des Realen und Erlebten in der Geschichte, die dem Film seine ganze besonderen Qualitäten verleihen. Geschickt baut Win Win gerade zu Beginn immer wieder Erwartungshaltungen seitens des Zuschauers auf, die er dann geschickt umschifft, die nicht dramaturgisch, sondern eher psychologisch wichtig sind für die Beschreibung des Milieus und der Charaktere.

Überhaupt hat Thomas McCarthy (The Station Agent, Ein Sommer in New York – The Visitor) seine Augen überall, den Ängsten Mikes widmet er genauso viel Aufmerksamkeit wie den zahlreichen anderen Subplots und Problemfeldern, die der Film berührt: Es geht um wirtschaftliche Nöte und um die Schwierigkeit, angesichts des Überlebenskampfes anständig zu bleiben, es geht um die Familie als Ort der Zuflucht und des Rückhaltes (bei Mike) oder als nicht mehr funktionierende Einheit (bei Kyle ebenso wie bei Terry). Ebenso kann man den Film zu Teilen auch als Coming-of-age-Drama lesen, als bewegende Geschichte vom Aufstieg vermeintlicher Loser und so weiter und so fort. Das Erstaunliche bei dieser Vielschichtigkeit ist aber, dass Win Win trotzdem wie aus einem Guss wirkt und man niemals das Gefühl bekommt, hier habe sich ein Regisseur und Drehbuchautor an seinem Stoff und an der Vielzahl kleiner Geschichten verhoben – im Gegenteil. Am Ende löst sich alles leicht, vielleicht sogar ein wenig zu leicht auf, ohne dabei aber ein ein gefühlsduseliges Finale zu münden. Große Gesten und die ganz dick aufgetragenen Emotionen sind Thomas McCarthys Sache nämlich nicht. Er setzt viel lieber auf präzise Beobachtungen und kleine Details, die oft mehr über die Figuren verraten als prominent platzierte Schlüsselszenen.

Logisch, dass der Film sich bei so viel Detailgenauigkeit viel Zeit nimmt für die Exposition und die darauf folgende Entwicklung der Geschichte. Dennoch kommt während der ganzen Zeit keinerlei Langeweile auf. und lässt sich diese ohne Hektik und inszenatorische Mätzchen entwickeln, ohne dass dadurch nennenswerte Längen oder gar Langeweile aufkommen würde. Das liegt unter anderem auch an dem immer wieder dezent eingestreuten Humor, der vor allem durch Mikes Freund und späteren Co-Trainer Terry, aber auch durch den ungleich steiferen und stets etwas magenkrank dreinschauenden Stephen Vigman (Jeffrey Tambor) vermittelt wird. Sie, Thomas McCarthys einfühlsame und unaufdringliche Regie sowie ein gelungenes Drehbuch sorgen dafür, dass Win Win nicht nur ein bewegender und genauer Film über die Ängste der amerikanischen Mittelschicht vor dem Abstieg ist. Sondern auch ein sympathischer US-Indie, der einfach Spaß macht und auf angenehme Weise unterhält.

Win Win

Manchmal schlägt das Leben ganz unerwartet zu und knallt einem einen Schuss vor den Bug, der deutlich anzeigt, dass man sich auf dem falschen Weg befindet, dass man irgendwo eine falsche Abzweigung genommen und sich verrannt hat. Davon kann auf ganz wörtliche Weise auch der engagierte Anwalt Mike Flaherty (Paul Giamatti) aus New Jersey einiges berichten.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Barbara de Koy · 23.07.2011

unbedingt ansehen!

Hilmar · 29.05.2011

Ich hab den Film im April in den USA schon gesehen und war echt begeistert. Ich bin eigentlich nur rein, weil ich mal Ringer war, aber die Schauspieler sind erstklassig, und dass sie für die Rolle des jugendlichen Ringers Alex Schaffer gewinnen konnten, der hier auf der Darsteller Liste gar nicht genannt wird, ist super, denn er spielt seine Rolle überzeugend und verleiht den wenigen Ringerszenen absloute Glaubwürdigkeit. schlielich gehört er zud en besten US Nachwuchsringern! Die Geschichte ist psychologisch durchdacht und das Ringen ist eigentlich nur nebensächlich. Der Konflikt, den der Coach durchlebt ist das spannende. Ich werde den Film jedenfalls weiterempfehlen, wenn er hier in Deutschland startet