Welcome to Norway

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Geschäftsmodell: Flüchtling

Bei den bisherigen Filmen von Rune Denstad Langlo gibt es ein Phänomen: Liest man nur die Handlungszusammenfassung, klingen sie zunächst recht konventionell, ja fast schon beliebig: In Nord zieht sich ein ehemalige Profi-Skifahrer an eine Ski-Liftstation zurück, nachdem ein Unfall ihn seine Karriere gekostet und sein bester Freund ihm die Frau ausgespannt hat und findet dann durch eine Reise in den titelgebenden Norden einen neuen Weg für sich. In Chasing the Wind kehrt eine junge Frau zurück in den kleinen Ort, in dem sie aufgewachsen ist, und trifft dort auf vergangene Lieben sowie etliche Geheimnisse. Beide Filme sind jedoch in ihrer Besetzung und Inszenierung wunderbar eigen, sie zeigen, dass der Plot eben nur ein Teil des Films ist – und es selbst in altbekannten Geschichten auf die Akzente ankommt, die der Filmemacher setzt. Deshalb sollte man sich weder von der Handlung noch der Ahnung einer „Culture-Clash-Komödie“ von Rune Denstad Langlos neuem Film Welcome to Norway abhalten lassen. Denn das zuvor beschriene Phänomen tritt auch dieses Mal auf.
Erzählt wird die Geschichte von Primus (Anders Baasmo Christiansen), der pleite ist und auf die Idee kommt, sein nicht fertiggestelltes Hotel als Flüchtlingsunterkunft zu vermieten, um Geld vom Staat, genügsame Gäste und kostenlose Hilfsarbeiter zu bekommen. Seine Frau Hanni (Henriette Steenstrup, Lilyhammer) und Tochter Oda (Nini Bakke Kristiansen) halten gar nichts von der Idee, da das Hotel weder über Heizung noch Türen und Strom verfügt und sie wissen, dass Primus ein Rassist ist. Aber er hat sich noch nie von Vorbehalten gegenüber seinen Ideen abhalten lassen, also stehen bald die ersten Flüchtenden auf dem Bahnhof der Kleinstadt im Norden Norwegens. Mit einem Bus karrt Primus sie zu der Unterkunft – und merkt schnell, dass er sich hoffnungslos überschätzt hat. Zum einen weiß der Dauernörgler Zoran (Slimane Dazi) sehr genau, was ihm zusteht, und war Abedie (Olivier Mukuta) schon in so vielen Unterkünften, dass er sofort erkennt, was Primus vorhat. Und zum anderen ist Primus dann doch nicht so gleichgültig gegenüber seinen „Gästen“, wie er dachte.

In der Folge muss Primus hart arbeiten, um die Vorgaben der Behörden zu erfüllen, vollen Körpereinsatz bei der Beschaffung von Zwischenfinanzierungsmittel beweisen und vor allem immer wieder auf die Hilfe des Kongolesen Abedi zurückgreifen, der ihm als Übersetzer, Assistent und schließlich auch als Ratgeber zur Seite steht. Dabei kann sich die Handlung sicherlich nicht ganz von Klischees freimachen. Der rassistische Primus merkt, wie hart und schwierig das Leben von Ausländern ist und überwindet natürlich seine Vorurteile. Auch lernt er von Abedi, wie wichtig die Familie ist. Aber da es sich bei Welcome to Norway nicht um eine französische „Wohlfühlkomödie“, sondern einen norwegischen Film handelt, wird die Vorhersehbarkeit dieser Entwicklung sowohl im Bild und Schauspiel als auch in den Dialogen unterlaufen. Zumal die Idee in der Handlung – Geld verdienen mit Flüchtlingsunterkünften – nicht der Phantasie entspringt. Die norwegischen Unternehmer Kristian und Roger Adolfsen betreiben 90 Flüchtlingsunterkünfte in Norwegen und zehn in Schweden, sie kalkulieren die Kosten für Unterkunft und Verpflegung knapp und machen durch die Aufwendungen, die sie von der norwegischen Ausländerbehörde UDI bekommen, eine Rendite von bis zu drei Prozent. Dieses „Geschäftsmodell“ ist erfolgreich und wird auch in anderen Ländern sowie anderen Unternehmern betrieben, Welcome to Norway weist aber ohne moralisierenden Ton, sondern vielmehr mit sarkastischem Witz auf die Fragwürdigkeiten dieses Unterfangens hin. Hinzu kommen gelungene bissige kleinere Witze, die sich schon in der Verteilung der Zimmer zeigen – Moslems wollen nicht mit Christen, Schiiten nicht mit Sunniten usw. Dahinter steckt aber nicht einfach nur der berühmt-berüchtigte skandinavisch-schwarze Humor, sondern es entfalten sich jahrelange Konfliktlinien mitsamt aufgeladener Brisanz.

Damit gelingt dem Film insgesamt ein erstaunlich differenziertes und in den kleinen Momenten berührendes Bild von dem Alltag in der Flüchtlingspolitik. Die Auflagen, die Primus erfüllen müssen, erweisen sich als weitaus weniger weltfremd als man meinen möchte, das Gutmenschentum einer Bibliothekarin wird nicht nur von ihrem Verhalten gegenüber Primus konterkariert, sondern insbesondere in der Sequenz entlarvt, in der sie möglichst brutale Ausbeutungsgeschichten von den geflüchteten Frauen regelrecht erwartet und damit das Laben an Armuts- und Kriegspornographie privilegierterer Menschen verkörpert. An ihr zeigt sich, welche Probleme entstehen, wenn Helfer lediglich zur Tätschelung des eigenen Gewissens und zum Beweis ihrer moralischer Überlegenheit helfen und nicht bereits sind, sich auf die Realität einzulassen.

Rune Denstad Langlo hat mit den Arbeiten zu seinem Film bereits 2010 begonnen, zu einer Zeit also, als die „Flüchtlingskrise“ längst da war, sie aber von europäischen Politikern und Medien noch weitgehend ignoriert wurde. Nun hat Welcome to Norway eine drängende Aktualität bekommen – und zeigt nicht nur, wie manche Unternehmer aus dem Geschäft mit den Flüchtenden Gewinn erzielen (wollen), sondern in den gelungenen Schlussszenen auch, das besondere Zeiten unkonventionelle Maßnahmen erfordern, die zwar nicht jedes Problem beseitigen, aber zumindest manche weiterhin auf eine Lösung hoffen lassen.

Welcome to Norway

Bei den bisherigen Filmen von Rune Denstad Langlo gibt es ein Phänomen: Liest man nur die Handlungszusammenfassung, klingen sie zunächst recht konventionell, ja fast schon beliebig: In „Nord“ zieht sich ein ehemalige Profi-Skifahrer an eine Ski-Liftstation zurück, nachdem ein Unfall ihn seine Karriere gekostet und sein bester Freund ihm die Frau ausgespannt hat und findet dann durch eine Reise in den titelgebenden Norden einen neuen Weg für sich.
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