Watchtower (2012)

Eine Filmkritik von Stefan Otto

Berg des Schicksals

Der Wachtturm, von dem im Titel die Rede ist, steht einsam und verlassen in der nordtürkischen Provinz Kastamonu. Drumherum sind nur Berge und Wald zu sehen. Der Wächter Nihat (Olgun Simsek) ist neu in dieser Abgeschiedenheit mit Aussichtsplattform.

Einsam im Turm und in der Natur drumherum steht er nur über Funk in Verbindung mit Kollegen und meldet konstant: „Dipsizgöl, normal“. Dipsizgöl ist sein Bezirk. Nihat ist hier noch mehr auf sich gestellt als geplant, weil die vorgesehene Ablösung nicht beikommt. Als er nach fünf Monaten oben wieder einmal unten am Busbahnhof der kleinen Stadt Tosya ist, beobachtet er zufällig die Reisebegleiterin Seher (Nilay Erdönmez), mit der er angekommen war. Sie ist die zweite Hauptfigur des Films. Lange hat sie unter Schmerzen und weiter Kleidung eine ungewollte Schwangerschaft verborgen und jetzt ihr Kind heimlich zur Welt gebracht. Der Wächter bekommt mit, wie sie es an einer uneinsichtigen Stelle ablegt, wo man auch Geschrei nicht hören kann, weil die Autos laut vorbeirauschen. Er rettet das Neugeborene und nimmt es mit seiner Mutter bei sich auf. Er muss es ihr immer wieder zuführen, sie auffordern, es zu stillen, sich zu kümmern, denn eigentlich möchte sie ihr Kind nicht einmal sehen. Es stellt sich heraus, dass sowohl Nihat als auch Seher versuchen, ihrem jeweiligen Schicksal zu entfliehen, ihm jedoch freilich kaum zu entkommen vermögen.

Die Istanbuler Regisseurin Pelin Esmer (10 vor 11), die auch für das Drehbuch und die Produktion verantwortlich zeichnet, stellt in ihrem zweiten Spielfilm Watchtower zwei unterschiedliche Außenseiter in den Blick. Vom Kinosessel fast wie von einem Aussichtsturm aus, kann man Nihat und Seher dabei zusehen, wie sie in einem traditionell patriarchalisch geprägten Umfeld, in dem viele emotionale Probleme verdrängt werden, zurande kommen. Das stille Melodrama erinnert an Fredi M. Murers Schweizer Berg- und Inzestdrama Höhenfeuer (1985), doch Pelin Esmer setzt weniger auf Effekte. Sie siedelt ihre berührende und im Grunde archaische Geschichte ganz in der heutigen Zeit an und kommt beinahe ohne folkloristische Elemente oder Heimatfilm-Versatzstücke aus. Nur am Schluss, wenn es gewittert und der Blitz einschlägt, setzt sie doch auf bewährte Bilder.

Der türkische Film kommt mit deutschen Untertiteln unter seinem Originaltitel Gözetleme Kulesi und dem genannten englischen Titel in die deutschen Kinos. „Wachtturm“, die wörtliche deutsche Übersetzung des Titels, wolle man nicht verwenden, erklärt der Berliner Verleih AF-Media, weil sie zu sehr an die gleichnamige religiöse Zeitschrift der Zeugen Jehovas erinnere.
 

Watchtower (2012)

Der Wachtturm, von dem im Titel die Rede ist, steht einsam und verlassen in der nordtürkischen Provinz Kastamonu. Drumherum sind nur Berge und Wald zu sehen. Der Wächter Nihat (Olgun Simsek) ist neu in dieser Abgeschiedenheit mit Aussichtsplattform.

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