Was heißt hier Ende?

Eine Filmkritik von Patrick Wellinski

"Was bleibt, ist Dankbarkeit"

Eigentlich dürfte es diesen Text nicht geben. Weil es diesen Film nicht geben dürfte. Der Verlust von Michael Althen als sehnsuchtvollster Klangfarbe der deutschen Filmkritik kam zu früh. Selbst vier Jahre nach seinem Krebstod scheint das nicht verdaut. Natürlich, der Betrieb geht unaufhaltsam weiter. Meisterwerke sind entstanden. Vier Goldene Palmen, Bären, Löwen und Oscars wurden seitdem vergeben — the show must go on … Sein Blick aber fehlt. Und was diesen ausmachte, hat Dominik Graf, der Althen-Freund, in Was heißt hier Ende? versucht zu fassen.
Der Film besteht im Grunde aus Vignetten der Annäherung an einen Mann, der das Kino liebte. Darin war er natürlich nicht allein. Freunde, Kollegen und Weggefährten kommen zu Wort. Unter anderem Andreas Kilb (FAZ), Peter Körte und Claudius Seidl (FAZ) oder Stephan Lebert (ZEIT). Sie sprechen von Michael Althen, ihrem Freund, der ihnen retrospektiv sehr obsessiv erscheint, ein Mann, der seine Texte tief in der Nacht verfasste, erst nachdem er sich mit allen Freunden auf ein Bier getroffen hatte. Ein Kritiker, der immer seine eigenen Wege ging und sich in seinem ganz eigenen Zugang zum Kino nie reinreden lies.

Es wird deutlich, dass Althen aus einer Gruppe junger Kritiker in den 1980er Jahren hervorging, die sich vor allem dem amerikanischen Kino verschrieben hatten, die dessen Schönheit und Eleganz in ihren Texten hervorhoben und sich so vom damaligen Mainstream entfernten. Graf arbeitet die spezifischen Zeitzusammenhänge sehr gründlich heraus. München, Althens Heimatstadt, erweist sich so als Geburtsort seiner tief gehenden Cinephilie. Dort, wo Graf probiert, die gruppendynamischen Prozesse dieser Männer (es sind vor allem Männer) zu reproduzieren, bekommt der Film etwas Bündnishaftes. Da wird er nicht ganz greifbar, schließt uns ein wenig aus. Doch schon bald wird dieser Essay zu einer Art Zustandsbeschreibung der deutschen Filmkritik. Jedenfalls sagen das einige Kollegen im Film. Ist also mit Michael Althen auch die deutsche (Zeitungs)Filmkritik gestorben?

Doch Was heißt hier Ende? ist kein Manifest gegen den Bedeutungsverlust der deutschen Filmkritik. Es bleibt ein vollkommener Akt der Freundschaft. Dominik Graf ist überzeugt, dass sein Freund Michael Althen im Grunde selbst ein Künstler war, der sich in seinen Ambitionen wohl selbst hemmte. Zeugnis davon könnte der nie vollendete Film über den russisch-französischen Maler Nicolas de Staël sein. Graf nutzt dieses Material besonders ausgiebig. Er verschränkt dieses Projekt mit den Texten Althens und versucht so mit den Spuren dieses Lebens Motive, Leidenschaften und Leistungen offenzulegen, die den Menschen „Michael Althen“ greifbarer machen. Dazu nutzt er auch Genre-Elemente, wie zum Beispiel einen Suchstrahl, der die Cote d‘Azur abfährt und so jene Orte markiert, wo Althen während der Filmfestspiele von Cannes gewohnt hat. Ideen, die beide in Ihren Essay-Filmen wie München — Geheimnisse einer Stadt oder Das Wispern im Berg der Dinge auch genutzt haben. Interessant: Trotz dieser hoch persönlichen Herangehensweise nimmt sich Dominik Graf selbst fast komplett aus dem Film heraus.

Doch im Zentrum bleiben die Texte Althens. Sie werden zum Rhythmusgeber von Was heißt hier Ende?. Da ist der Nachruf auf Audrey Hepburn („die zweite Frau, der wir eine unbefleckte Empfängnis abkaufen würden“), da ist seine Festivaldepesche aus Venedig („Die Träume der Heiligen Ursula“), da ist der Text über Jacqueline Bisset, die Michael Althen mal ihre Nummer zusteckte und ihn hyperventilieren ließ. Dieses elegante Ineinanderweben des Essaymaterials ist stets respektvoll und voller Liebe dem Verstorbenen Althen gegenüber. Ein Abschied, der das Wort Abschied konsequent verweigert. Als solches ist Was heißt hier Ende? ein in sich sehr gelungener, sanfter Film über einen leidenschaftlichen Menschen, der immer wusste: Das Kino ist das bessere Leben, aber eben keine Alternative dazu.

Es hat vielleicht etwas Kannibalisches, wenn ich diese Rezension zu einem filmischen Nachruf auf einen Filmkritiker jetzt mit einem Satz von Michael Althen beende, den er wiederum in seinem Nachruf auf Michelangelo Antonioni verfasste. Aber nichts wäre passender, denn der letzte Satz seines Textes lautet:

„Was bleibt, ist Dankbarkeit.“

Was heißt hier Ende?

Eigentlich dürfte es diesen Text nicht geben. Weil es diesen Film nicht geben dürfte. Der Verlust von Michael Althen als sehnsuchtvollster Klangfarbe der deutschen Filmkritik kam zu früh. Selbst vier Jahre nach seinem Krebstod scheint das nicht verdaut. Natürlich, der Betrieb geht unaufhaltsam weiter. Meisterwerke sind entstanden. Vier Goldene Palmen, Bären, Löwen und Oscars wurden seitdem vergeben — the show must go on … Sein Blick aber fehlt. Und was diesen ausmachte, hat Dominik Graf, der Althen-Freund, in „Was heißt hier Ende?“ versucht zu fassen.
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