Von Trauben und Menschen

Eine Filmkritik von Simon Hauck

In vino nihilum

Für Sorgen sorgt das liebe Leben. Und Sorgenbrecher sind die Reben. (Johann Wolfgang von Goethe)

Gaillac ist eine der kleineren Weinregionen Frankreichs, östlich von Toulouse gelegen. Der September ist da: Die Weinlese steht an. Der französische Filmemacher Paul Lacoste hat sich für seinen neuen Dokumentarfilm ein eher ungewöhnliches Sujet gewählt: Gut zwanzig Männer und Frauen verschiedenen Alters, die als so genannte Saisonkräfte, also als Erntehelfer, in der Spätsommerhitze schuften. Quasi in der edlen d’Artagnan-Methode: Einer für alle, alle für einen. Bewaffnet sind sie dabei lediglich mit speziellen Weinlesescheren und Eimern. Als Zwangskollektiv auf Zeit, denn der schnöde Mammon treibt die Mehrzahl von ihnen an, sind sie für die beschwerliche Saisonarbeit, wenn es sein muss, eine geschlossene Gruppe. Anpacken müssen schließlich alle, ebenso trocken wie unspektakulär eingefangen von Kameramann Yvan Quéhec. Individuelle Interessen oder Befindlichkeiten sollen in der Ernteperiode gefälligst hintenanstehen, ermahnt sie dementsprechend auch der mittelständische Weinbauer Bernard, der sie beschäftigt.

Dazu ertönt – gerade im ersten Drittel der 77 zähen Film-Minuten – akkordweise Gitarrenmusik wie aus einem US-Indie, was schlichtweg ziemlich unpassend ist. Soll damit gegen das vermeintliche Klischee von Frankreich als langjährige Weinnation Nummer eins angespielt werden? Oder liegt das am persönlichen Gusto des Regisseurs bzw. seines Komponisten Olivier Cussac? Es erklärt sich nicht, wie vieles in diesem schier aus der Zeit gefallen Dokumentarfilm, der sich nicht entscheiden kann, ob er sich nun auf die Schicksale einzelner Protagonisten, auf den kulturhistorischen Prozess der Weinlese oder doch allein auf das südfranzösische Sommergefühl – verbunden mit durchaus harter Arbeit im Weinstock –konzentrieren soll. Vielmehr irritiert der dramaturgisch lose, erzählerisch wenige zusammenhängende Schnittrhythmus Anthony Brinigs dann doch im Laufe der relativ unaufregenden, obendrein wenig abwechslungsreichen Sequenzen.

Dabei hätten die Individualgeschichten mancher Erntehelfer durchaus etwas hergeben können: Zum Beispiel gibt es da in Paul Lacostes Von Trauben und Menschen eine etwa 50-jährige Frau, deren Leben einem Crash gleicht: Nach Jahrzehnten als engagierte Arbeiterin wurde sie nun aufgrund der mauen französischen Wirtschaftsentwicklung kurzerhand entlassen – und muss ihren Platz im Leben dementsprechend neu ausloten. Auch an einer ziemlich autark lebenden, jungen Familie aus der Gaillac-Region, die sich von den Fesseln einer gewöhnlichen Existenz lossagen möchte und nur noch nach Bedarf eine Arbeit aufnimmt, hätte sich Lacostes Film entlanghangeln können, weil sie die Weinlesearbeit einerseits nicht besonders schätzt, andererseits aber – bislang zumindest – noch nicht definitiv von ihr loskommt. Gleiches gilt für die kurzzeitig angeschnittenen Biografien zweier Studentinnen aus jener Saisonarbeiter-Truppe, die bisher noch nicht allzu viel mit ihrem Leben anzufangen wussten und eher aus Alternativlosigkeit immer wieder zur Weinlese zurückkehren, anstatt in die Welt hinauszugehen. Eines eint sie alle – beim einen mehr, bei der anderen weniger sichtbar: Sie sind überwiegend mittellos, seelisch angeknackst bis ausgebrannt, manche darunter sind Sinnsucher, andere wollen schon gar keine allzu großen Veränderungen mehr auf sich zukommen lassen, was insgesamt für einen Filmemacher keine so schlechten Voraussetzungen für einen vielschichtigen Portraitfilm gewesen wären …

Doch davon ist in Lacostes Regiestil wenig zu spüren: Stattdessen Entschleunigung total – oder eben pure Langeweile, das ist sicherlich eine höchst individuelle Auslegungssache des jeweiligen Zuschauers. Man sieht Menschen mit Scheren, Menschen mit Eimern, Menschen mit Weingläsern – und Menschen mit anderen Menschen: So weit, so banal. Kurzum: Ein Filmemacher, der mit seinem Film vermutlich zufrieden ist, sich allerdings erst einmal sein Publikum suchen muss, erst recht angesichts jenes sehr spezielles Sujets.

Trotzdem ist Lacostes Arbeit weniger ein Film zum Wein denn zum Weinen: Denn dramaturgische Spannungsbögen, facettenreiche Handlungsträger, außergewöhnliche Drehlocations oder gar experimentelle Kameraarbeit sucht man hier vergebens – bis zum Schluss. Eines muss man ihm dennoch lassen: Nach der mühsamen Sichtung weiß man wirklich, was man getan hat.

Von Trauben und Menschen

Gaillac ist eine der kleineren Weinregionen Frankreichs, östlich von Toulouse gelegen. Der September ist da: Die Weinlese steht an. Der französische Filmemacher Paul Lacoste hat sich für seinen neuen Dokumentarfilm ein eher ungewöhnliches Sujet gewählt: Gut zwanzig Männer und Frauen verschiedenen Alters, die als so genannte Saisonkräfte, also als Erntehelfer, in der Spätsommerhitze schuften. Quasi in der edlen d’Artagnan-Methode: Einer für alle, alle für einen.
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