Verleugnung (2016)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Angriff auf die Wahrheit

Es gibt Filme, deren Schwächen klar zu erkennen sind – und die doch wichtig sein können, in der Zeit, in der sie erscheinen. Verleugnung von Mick Jackson ist ein solcher Fall: die Besetzung überzeugt nicht vollends, die Charaktere sind bisweilen überzeichnet, die visuelle Inszenierung erinnert mitunter an ein Fernsehdrama, die Musik ist allzu emotionalisierend. Und doch ist dies ein Film, der eine wichtige Geschichte erzählt: über die Gefahren von Meinungen, Gefühlen und alternativen Fakten.

Wie beweist man vor Gericht, dass der Holocaust tatsächlich stattgefunden hat? Vor dieser Frage steht die amerikanische Universitätsprofessorin Deborah E. Lipstadt (Rachel Weisz) im Jahr 1996. Der britische Autor David Irving (Timothy Spall) hat sie und ihren Verlag Penguin Books wegen Verleumdung verklagt, weil Lipstadt in ihrem Buch schreibt, er verdrehe Fakten und manipuliere Beweise, um seine Behauptung zu untermauern, es habe keinen Holocaust gegeben. Nun würde man meinen, Irving müsse seine Klage mit Beweisen unterstützen. Aber er hat sie in Großbritannien eingereicht – und hier ist es die Aufgabe der Beklagten, diese Behauptung zu entkräften. Also muss Lipstadt gerichtsfeste Beweise vorlegen, dass Auschwitz und der Holocaust historische Fakten sind. Damit geht es in diesem Prozess nicht mehr nur um die Reputation zweier Menschen, sondern um die Frage, wo die Grenze zwischen einer Meinungsäußerung und einer bewussten Verzerrung historischer Fakten verläuft. Denn eines klar: Gewinnt Irving, wird das Leugnen des Holocaust zur legitimen Meinungsäußerung. Gewinnt Lipstadt, gibt es das erste Gerichtsurteil, das festhält, dass es den Holocaust gab.

Diese Geschichte hat sich nicht ein Drehbuchautor ausgedacht, sondern sie hat tatsächlich stattgefunden: Verleugnung basiert auf Lipstadts Buch Betrifft: Leugnen des Holocaust. In dem Drehbuch von David Hare und unter der Regie von Mick Jackson entwickelt sich hieraus ein Gerichtsfilm, in dem fast alles über Dialoge verhandelt wird. Es gibt sehr viele Gespräche zwischen Lipstadt und ihren Anwälten Richard Rampton (Tom Wilkinson) und Anthony Julius (Andrew Scott), in denen die Eigenschaften der englischen Justiz und ihre Verteidigungsstrategie besprochen werden. Dabei legt Rachel Weisz nicht nur einen dicken amerikanischen Akzent an den Tag, sondern Lipstadts „typisch amerikanische“ Impulsivität wird allzu oft in Szene gesetzt. Deshalb bleibt sie insgesamt zu sehr auf die Rolle der Amerikanerin begrenzt, die geradeheraus ihre Meinung sagt und ihren Anwälten misstraut. Weitaus stärker ist der Film, wenn er sich tatsächlich auf die Folgen dieser Gespräche konzentriert, also in den Szenen vor Gericht: Hier wird konsequent auf Dramatisierung verzichtet und stattdessen auf Fakten, Aufklärung und Beweise gesetzt. Sicherlich ist es schwer, die Angriffe von Irving zu ignorieren, ja, sie gewissermaßen auszusitzen. Aber dieser Film weist sehr deutlich darauf hin, dass man nicht auf jede Provokation und Polemik reagieren sollte, weil man damit das Spiel nach den Regeln des Lügners spielt. Sicherlich fehlt dem Film dadurch das typisch Spannende eines Gerichtsdramas, hier gibt es keine Plädoyers, sondern Erklärungen vor Gericht – durch Lipstadts Anwalt Rampton und Irving, der sich selbst vertritt. Beide Rollen sind sehr gut gespielt: Tom Wilkinson überzeugt als Anwalt, der versucht, sich bei diesem Fall nicht zu sehr emotional einzubinden, und Timothy Spall lässt Irving deutlich zu einem Menschen werden, der anziehend wirken kann – und alles andere als ein harmloser Spinner ist. Zudem wird in den Rededuellen deutlich, wie mühsam und schwierig ein Prozess sein kann — und mit der Wahrheit verhält es sich doch oft ähnlich.

Zwischen den Gerichtsszenen und Gesprächen stehen einige Sequenzen, in denen Lipstadt mit ihren Anwälten nach Polen reist, um sich das Vernichtungslager Auschwitz vor Ort anzusehen. Hier übertreibt Mick Jackson in der Inszenierung leider maßlos, als er während des Besuchs als „Erinnerung“ sich überlagernde Bilder von ausgemergelten Überlebenden mit Musik unerträglich emotionalisiert. Mit Nüchternheit wäre dem Film weitaus mehr gedient gewesen – ist doch bereits die Frage, warum es keine forensischen Beweise gibt, erschütternd genug.

Nichtsdestotrotz macht Verleugnung im „postfaktischen“ Zeitalter, in dem „fake news“ und „alternative facts“ verbreitet werden, einen sehr wichtigen Punkt: Es gibt in dieser Welt Fakten, die nicht gedeutet werden können. Es gibt historische Wahrheiten, die keinen Meinungen oder Gefühlen unterliegen. Und wenn wir diese zur Diskussion stellen, verlieren wir alle.
 

Verleugnung (2016)

Es gibt Filme, deren Schwächen klar zu erkennen sind – und die doch wichtig sein können, in der Zeit, in der sie erscheinen. „Verleugnung“ von Mick Jackson ist ein solcher Fall: die Besetzung überzeugt nicht vollends, die Charaktere sind bisweilen überzeichnet, die visuelle Inszenierung erinnert mitunter an ein Fernsehdrama, die Musik ist allzu emotionalisierend. Und doch ist dies ein Film, der eine wichtige Geschichte erzählt: über die Gefahren von Meinungen, Gefühlen und alternativen Fakten.

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Meinungen

Martin Zopick · 29.01.2023

Der Film beruht auf Fakten und richtet sich vornehmlich an historisch interessierte Zuschauer. Hier geht es um den Holocaust. Da es heute aber immer noch oder immer wieder Leute gibt, die den Massenmord der Nazis an den Juden leugnen, ist der Film von Mick-Bodyguard-Jackson ein wichtiges Zeitdokument, das ganz ohne historische Aufnahmen vom Ort des Grauens auskommt. Die Berater um die Angeklagte Deborah Lipstadt (Rachel Weisz) fahren nur mal zu einem Ortstermin nach Auschwitz. Notgedrungen muss es lange Dialoge geben und ausführliche Szenen vor Gericht. Hier brilliert Anwalt Rampton (Tom Wilkinson).
Der Nicht-Historiker David Irving (Timothy Spall), der in den 60er und 70 Jahren tatsächlich durch die BRD getourt ist und Vorträge gehalten hat, im Sinne der Holocaust Verleugnung, verklagt Frau Lipstadt wegen Verleumdung. Nach dem englischen Rechtssystem muss der oder die Angeklagte – also Deborah Lipstadt die Schuld bzw. Unschuld des Klägers beweisen und nicht wie sonst üblich umgekehrt.
Der Ausgang des Verfahrens ist kein Geheimnis. Interessant ist nur, wie das Urteil zustande kommt. Wenn Irving wirklich glaubt, was er da verbreitet, ist er kein Lügner. Sträflich ist allerdings, wenn man sich auf die Redefreiheit beruft und dabei Fakten verdreht und Beweise manipuliert.
Trotz emotionaler Unterkühlung ist der Film äußerst lehrreich und dank der guten Darsteller auch interessant.