Umrika

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Briefe aus dem Land der Wunder

Nicht nur Not und Krieg können Menschen dazu bewegen, ihre Heimat zu verlassen. Manchmal ist es auch das Fernweh, das sich bis in die entlegensten Dörfer und die Träume ihrer Bewohner schleicht. An dieses zeitlose Phänomen erinnert die epische Coming-of-Age-Geschichte Umrika. Darin erzählt der junge Ramakant (Suraj Sharma), wie er im indischen Heimatdorf im Schatten seines nach Amerika ausgewanderte Bruders Udai (Prateik Babbar) aufwächst. Dessen Briefe, die die stolze Mutter (Smita Tambe) mit dem ganzen Dorf teilt, lassen ihn zur überlebensgroßen Figur in der Wahrnehmung der Leute werden. Udai schreibt von unerhörten Sitten und Bräuchen, von Toiletten mit Wasserspülung und fügt Bilder bei wie das von den New Yorkern, die sich zum Vergnügen auf Schlittschuhen aufs Eis wagen. So kennt Ramakant von klein auf nur einen Sehnsuchtsort: Umrika. Bei dem indischen Wort für Amerika wird der Anfangsbuchstabe wie ein A ausgesprochen. Und eines Tages bricht Ramakant selbst auf, um den Bruder in der Fremde zu suchen.
Mit fremden Kulturen, aber auch ihren Klischees kennt sich der Regisseur und Drehbuchautor Prashant Nair (Delhi in a Day) bestens aus. Geboren in Indien, wuchs der Sohn eines Diplomaten in so verschiedenen Ländern wie der Schweiz, dem Sudan und Sambia auf und ließ sich als Erwachsener zeitweilig auch in Amerika nieder. In seinem Film staunen nun die Dorfbewohner ratlos und ungläubig, wenn Udai Zeitungsfotos vom Frauenwrestling schickt oder aus einem Paket ein überdimensionales Sparschwein zum Vorschein kommt. Mit viel Humor zeigt Nair, dass die Vorstellungen, die die Leute auf diese Weise vom Lebensstil und Brauchtum in Amerika bekommen, ziemlich verzerrt und anfällig für Trugschlüsse sind.

Mit Ramakants Fantasie-Amerika schlägt der Film, der in den 1980er Jahren spielt, eine nostalgische Brücke zu den vorigen Jahrhunderten, als es europäische Auswanderer in Massen über den großen Teich zog. Die Geschichte und ihr schwärmerischer Tonfall wirken entrückt und naiv: Wenn die Dorfgemeinschaft Amerika mit dem Paradies und der Zukunft gleichsetzt, dann vor allem deswegen, weil sie von der großen weiten Welt noch ziemlich abgeschnitten ist. Den wehmütig-verklärten Ton der Geschichte verstärkt das Bildmaterial, das ganz altmodisch im Super-16-Format aufgenommen wurde. Das Leben auf dem Dorf entfaltet sich in quirliger Fülle und Pracht. Obwohl die Menschen arm sind, geht es in der Erzählung nicht um materielle Not: Im Dorf wird gerne gelacht und die Leute nehmen lebhaft Anteil an der Freude und dem Leid der Nachbarn.

Aus diesem geschützten Raum und der Unschuld der Kindheit bricht Ramakant in die Großstadt Mumbai auf, wo es viel rauer zugeht und ihm die Augen über so manche langgehegte Illusion geöffnet werden. Ramakant und sein Freund Lalu (Tony Revolori), der ihm nach Mumbai folgt, verfügen aber über einen Schutzschild aus jugendlichem Optimismus. Mit Revolori, der schon als lustiger Lobby-Boy in The Grand Budapest Hotel auf sich aufmerksam machte, und vor allem mit Hauptdarsteller Suraj Sharma (Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger), besitzt Nairs Film zwei ausdrucksstarke Jungschauspieler, deren Charme zu fesseln vermag.

Ramakants Coming-of-Age-Geschichte ist zugleich auch ein in mehreren Etappen erzähltes Familiendrama über Liebe, Zusammenhalt und Ablösung. Vielleicht schwelgt der Film manchmal zu sehr in Selbstversunkenheit, widmet sich eine Spur zu lang seinen verschiedenen Milieus und Nebenhandlungen. Aber die zauberhafte Atmosphäre, die sich der hektischen Erzählweise moderner Filme so gründlich widersetzt, verfehlt ihre Wirkung nicht.

Umrika

Nicht nur Not und Krieg können Menschen dazu bewegen, ihre Heimat zu verlassen. Manchmal ist es auch das Fernweh, das sich bis in die entlegensten Dörfer und die Träume ihrer Bewohner schleicht. An dieses zeitlose Phänomen erinnert die epische Coming-of-Age-Geschichte „Umrika“. Darin erzählt der junge Ramakant (Suraj Sharma), wie er im indischen Heimatdorf im Schatten seines nach Amerika ausgewanderte Bruders Udai (Prateik Babbar) aufwächst.
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