Zu Ende ist alles erst am Schluss

Geteiltes Leid, doppelter Stress?

In einer Familie mit drei Generationen gibt es immer wieder Phasen, in denen man die Vergänglichkeit des Lebens ungebeten vorgeführt bekommt. Menschen werden alt, denken über Trennung nach, ziehen von Zuhause aus. Solche Veränderungen erschüttern die unbewusste Erwartung, alles möge so bleiben, wie es sich einmal bewährt hat. Auf Ordnung aber legt der Postbeamte Michel (Michel Blanc), der gerade in Rente geht, besonderen Wert. Ob der Tag gut oder schlecht ist, bemisst sich für ihn daran, ob es vor einem angesteuerten Gebäude einen freien Parkplatz gibt. Und nun ist der Vater tot und Mutter Madeleine (Annie Cordy) muss nach einem Sturz in ihrer Wohnung ins Altenheim. Seine Frau Nathalie (Chantal Lauby) reagiert auf seine häusliche Präsenz so genervt, dass sie mit Scheidung droht. Und nicht einmal auf den eigenen Sohn Romain (Mathieu Spinosi), einen Literaturstudenten, ist Verlass: Er verwechselt den Friedhof, auf dem sein Großvater zu Grabe getragen wird.
Die französische Komödie Zu Ende ist alles erst am Schluss blättert diese Dramen jedoch nicht allein aus Michels Perspektive auf. Die Schlüsselfigur in diesem Familienensemble ist vielmehr Romain, der seinen Aufgaben als Sohn, vor allem aber als Enkel in der gegenwärtigen Krise mit Zuneigung und Gelassenheit nachkommt. Das Drehbuch, das der Regisseur Jean-Paul Rouve gemeinsam mit dem Schriftsteller David Foenkinos schrieb, basiert auf dessen Roman Les Souvenirs. Allein schon die Rebellion der Großmutter gegen das Altenheim hätte für ein abendfüllendes Drama herhalten können. Aber Rouve setzt auf die spannende Mischung der Themen, die für Abwechslung sorgt und dafür, dass der Ton trotz der gewichtigen Probleme federleicht bleibt. Auf wunderbar stimmige Weise orientiert sich der Film am wirklichen Leben. Das zeigt sich zum Beispiel bei Michels feierlicher Verabschiedung im Betrieb. Die Rede des Chefs, seine leichte Ungeduld in Bezug auf Michels gestammelte Dankesworte, der Applaus der Mitarbeiter, das unvermeidliche Buffet: Jede Geste, jedes Detail trifft auf die im Moment übersteigerte Sensibilität des Rentners und hat das Potenzial, ihm seelische Schmerzen zu bereiten. Wenn er dann von einer Kollegin einen angebrochenen Karton Apfelsaft zum Mitnehmen in die Hand gedrückt bekommt, könnte sich Michel über mangelndes Feingefühl ärgern. Aber die Szene wird nicht geschildert, um Sozialkritik zu üben und weder der Chef, noch die Kollegen wirken kaltherzig. In der zwiespältigen Situation steckt viel Komik, aber sie wühlt einen auch auf.

Der pedantische, rechthaberische, sogar cholerische Michel würde in einem anderen Film wahrscheinlich eine innere Läuterung aufgezwungen bekommen. Aber wie realistisch ist denn so etwas, zumal in seinem Alter? Hier wird er einfach genommen, wie er ist, vor allem von seinem Sohn, der in einer WG wohnt und vielleicht auch deswegen genügend inneren Abstand hat, um die schlechte Laune des Vaters mit leichtem Amüsement zu ertragen. Die Beziehung erleichtert es dem Zuschauer, Michel zu akzeptieren, ihn als Charakter zu begreifen, der sich selbst unter Druck setzt, aber im Grunde auch mal geknuddelt werden möchte. Die Beziehungen haben in diesem Film generell die Kraft, die überall lauernde Tristesse abzumildern, sogar ein Stück weit ins Gegenteil zu verkehren. Da ist zum Beispiel der Amateurmaler, den Romain und seine Großmutter unangemeldet besuchen, weil sie sich über den Mann amüsieren wollen, der so lächerliche Bilder fabriziert. Sie lernen einen ehemaligen Lehrer kennen, dessen Leben von fehlender Anerkennung geradezu geformt wurde. Und schenken ihm durch ihre Beachtung Freude und Auftrieb, auch wenn sie das gar nicht vorhatten.

Die gelungene Balance zwischen Komik und nüchterner Authentizität bewirkt, dass man jede Minute als anregende Unterhaltung empfindet. Viel mehr als diesen positiven Eindruck nimmt man auch nicht mit, denn hier bewahrheitet sich der Spruch, aus den Augen, aus dem Sinn. Aber gerade weil es genug zu genießen gab, grämt einen die fehlende Nachhaltigkeit nicht wirklich – eine Erfahrung, die ja im deutschen (Arthouse-)Kino immer noch ziemlich verpönt ist.

(Bianka Piringer)

In unserem B-Roll Blog gibt es ein Interview mit dem Regisseur Jean-Paul Rouve zu seinem Film.

Zu Ende ist alles erst am Schluss

In einer Familie mit drei Generationen gibt es immer wieder Phasen, in denen man die Vergänglichkeit des Lebens ungebeten vorgeführt bekommt. Menschen werden alt, denken über Trennung nach, ziehen von Zuhause aus. Solche Veränderungen erschüttern die unbewusste Erwartung, alles möge so bleiben, wie es sich einmal bewährt hat. Auf Ordnung aber legt der Postbeamte Michel (Michel Blanc), der gerade in Rente geht, besonderen Wert.
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