X-Men: Apocalypse (2016)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Götterdämmerung im Mutanten-Universum

Die Erwartungen waren hoch: Als Bryan Singer 2014 nach mehr als einem Jahrzehnt auf den Regiestuhl der X-Men-Filme zurückkehrte, hob er die Mutanten auf einen neuen Level. Mit X-Men: Apocalypse knüpft Singer narrativ und visuell an seinen Vorgänger an, verhebt sich allerdings gewaltig.

Wem die Avengers mit ihren klamaukigen Hahnenkämpfen zu infantil und Christopher Nolans Batman-Filme zu düster-prätentiös geraten sind, der war bei den X-Men bislang richtig. In ihren gelungensten Werken schaffte die Reihe mühelos den Spagat zwischen Superheldenspektakel mit (politischem) Tiefgang und feiner Ironie. Und wenn sich die gestandenen Bühnenkünstler Patrick Stewart und Ian McKellen als Professor Charles Xavier und Erik Lehnsherr alias Magneto auf der großen Leinwand duellierten, dann schwang auch immer ein wenig Shakespeare mit.

Nach einem verschenkten dritten Teil und zwei zu vernachlässigenden Spin-offs brachte Matthew Vaughn die Reihe mit seinem Prequel X-Men: Erste Entscheidung 2011 wieder auf Kurs, bevor sie unter Bryan Singer vor zwei Jahren richtig Fahrt aufnahm. Seither arbeiten sich die Mutanten stetig in die Gegenwart vor, was bezüglich Kontinuität und Logik insbesondere den Drehbuchautor fordert. James McAvoy und Michael Fassbender verkörpern Xaviers und Lehnsherrs jüngere Versionen. In Sachen Schauspielkunst stehen sie ihren Vorgängern in nichts nach. Neben den gelungenen Effekten war es vor allem das verzweifelte Ringen dieser beiden Charaktere, das das Franchise am Laufen hielt. Davon, wie von manch anderer Qualität, ist im jüngsten Teil leider viel zu wenig zu sehen.

Die Ereignisse aus X-Men: Zukunft ist Vergangenheit sind im wahrsten Wortsinn Geschichte. Magnetos gescheitertes Attentat auf US-Präsident Nixon steht Anfang der 1980er Jahre in den Schulen bereits auf dem Lehrplan. Erik selbst ist in Polen untergetaucht, verdingt sich in einem Stahlwerk, lebt mit Frau und Tochter auf dem Land. Auch Raven (Jennifer Lawrence) arbeitet inkognito. Im Ostberliner Untergrund verschafft sie verfolgten Mutanten Reisepässe. Professor Xavier bildet derweil gemeinsam mit Hank McCoy alias Beast (Nicholas Hoult) den Nachwuchs aus. An seiner Privatschule für Hochbegabte trifft das Publikum erstmals auf die jungen Jean Grey (Sophie Turner) und Scott Summers alias Cyclops (Tye Sheridan), deren weiterer Lebensweg bereits in den ersten drei Teilen zu verfolgen war. Es bleiben nicht die letzten Altbekannten, die sich in diesem Film die Klinke in die Hand geben.

Die Wege aller Protagonisten kreuzen sich schließlich, als eine Macht ungeahnten Ausmaßes erwacht. Bei einem Einsatz in Ägypten wird CIA-Agentin Moira Mactaggert (Rose Byrne) Zeugin, wie En Sabah Nur (Oscar Isaac), der erste Mutant der Geschichte, nach tausendjährigem Schlaf aus den Trümmern einer Pyramide steigt. Ihm missfällt, was er sieht. Die Menschen beten falsche Götter an. Hier kommt der Filmtitel ins Spiel. Denn En Sabah Nur tut das, was er schon immer getan hat, wenn ihm das Treiben der Menschheit zu bunt wurde: die Welt mit seinen vier Jüngern dem Erdboden gleichmachen.

Wem das alles etwas zu unübersichtlich und abgehoben erscheint, der liegt nicht ganz falsch. Bryan Singer gelingt es dieses Mal nur leidlich, all die Handlungsstränge zusammenzuhalten. Unter der Vielzahl der Figuren leidet deren Tiefe. Am tiefsten lässt noch Erik Lehnsherr blicken, als er in Polens Wäldern den nächsten Schicksalsschlag hinnehmen muss. Danach verkommt er bis zum Finale ziemlich abrupt zum Statisten. Von Professor Xaviers und Ravens Seelenleben, das in den beiden vorangegangenen Teilen durchaus bewegte, erfahren die Zuschauer hingegen nichts Neues. Der politischen Dimension um Stigmatisierung, Verfolgung und Vernichtung nun noch eine historisch-religiöse überzustülpen, bekommt dem Franchise nicht. Zeitgeschichtliches – hier die letzte heiße Phase des Kalten Krieges –, das den beiden vorangegangenen Teilen bei aller Ironie die nötige Schwere verlieh, verkommt zum bloßen Hintergrundrauschen, vor dem En Sabah Nur seine Weltuntergangsshow abzieht.

Somit steht und fällt nicht alles, aber vieles mit dem Bösewicht. Der ist so blass und eindimensional wie zuletzt nur Superroboter Ultron bei den Avengers. Das liegt weniger an Oscar Isaac als am Drehbuch. Einen tausende Jahre alten, gottgleichen Mutanten kann eben nur wenig aus der Ruhe bringen. Dementsprechend unaufhaltsam, ebenso unbeeindruckt wie ausdruckslos, bewegt sich En Sabah Nur auf den finalen Showdown zu. Wo X-Men: Zukunft ist Vergangenheit noch Momente zum Mitfiebern in bester 70er-Jahre-Thriller-Manier erzeugte, mangelt es X-Men: Apocalypse über weite Strecken an Spannung.

Die Apokalypse bringt aber noch ein ganz anderes Übel mit sich. Bislang balancierte Bryan Singer erstaunlich souverän zwischen Anspruch und Spektakel. Beim Weltuntergang kippt die Waagschale nun zwangsläufig zugunsten einer sinnfreien Materialschlacht. Nun sind also auch die X-Men in der gnadenlosen Spirale des Überbietungsgestus angelangt. Die faszinierende Sequenz in Superzeitlupe aus dem Vorgänger muss der Regisseur dementsprechend toppen. Dass die Szene, die zweifelsohne begeistert, nur eben deshalb im Drehbuch landete, merkt man freilich auch. Damit sind die X-Men zwar immer noch um Längen besser als Zack Snyders humorlos-pathetische Superheldenschinken (alleine schon der Darsteller wegen), der Abstand zu den Avengers schrumpft hingegen auf ein Mindestmaß. Wie so oft bei Superheldenfilmen wäre auch hier weniger mehr gewesen.
 

X-Men: Apocalypse (2016)

Die Erwartungen waren hoch: Als Bryan Singer 2014 nach mehr als einem Jahrzehnt auf den Regiestuhl der „X-Men“-Filme zurückkehrte, hob er die Mutanten auf einen neuen Level. Mit „X-Men: Apocalypse“ knüpft Singer narrativ und visuell an seinen Vorgänger an, verhebt sich allerdings gewaltig.

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