We Steal Secrets: Die WikiLeaks Geschichte

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Eine Doppel-Biografie

Für die einen ist er ein Freiheitsheld, ein Pionier der Transparenz und des freien Flusses von Informationen, für die anderen ist er ein Verräter, ein rücksichtsloser Egomane, ein Selbstdarsteller und zudem hochgradig paranoid. An kaum jemandem scheiden sich die Geister so sehr wie an Julian Assange, dem Kopf der Enthüllungsplattform WikiLeaks, der immer noch in der ecuadorianischen Botschaft in London lebt und dies möglicherweise auch noch lange tun wird.
Währenddessen wird die Welt von neuen Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden in Atem gehalten, der vor kurzem erst öffentlich machte, in welch ungeheurem Ausmaß die National Security Agency und der britische Nachrichtendienst den gesamten Kommunikationsverkehr befreundeter Nationen systematisch ausspähen. Gerade vor diesem Hintergrund ist Alex Gibneys neuer Dokumentarfilm We Steal Secrets: The Story of WikiLeaks nicht nur eine zeitgeschichtlich überaus erhellende Dokumentation und das Psychogramm einer höchst ambivalenten Persönlichkeit, sondern auch eine beinahe klassische Geschichte von Aufstieg und Fall, von Hybris, Verrat und Paranoia, wie sie kein Drehbuchautor besser hätte erfinden können.

Die Geschichte von WikiLeaks nimmt ihren Ausgangspunkt bei der NASA, die im Jahre 1989 kurz vor dem Start einer Raumfähre von einem massiven Hackerangriff aufgeschreckt wurde. „WANK“ (=“Worms Against Nuclear Killers“) nannte sich der digitale Schädling, dessen Ursprünge im australischen Melbourne lagen, wo sich Ende der 1980er Jahre eine aktive Szene von Hacktivisten entwickelt hatte. Einer der Hacker war Julian Assange, der schon damals nicht gerade dem Prototyp des Computer-Nerds entsprach. Von diesem Ausgangspunkt ausgehend folgt Alex Gibney in We Steal Secrets den Spuren des Kopfes von WikiLeaks, befragt ehemalige Weggefährten wie Assanges deutschen Mitstreiter Daniel Domscheit-Berg und isländische Unterstützer, aber auch erbitterte Gegner wie den früheren Chef von NSA und CIA General Michael Hayden und unzählige andere Quellen. Beinahe schon unheimlich wird das Ganze, als Gibney die frühere ehrenamtliche Mitarbeiterin von WikiLeaks aus Schweden vor die Kamera holt, deren Vorwürfe einer Vergewaltigung die Sexaffäre und den schwedischen Haftbefehl überhaupt erst ins Rollen brachten. An dieser Stelle spürt man deutlich, wie sehr sie und das andere mutmaßliche Vergewaltigungsopfer gelitten haben unter all dem, was ihnen in der Folge passiert war. Ebenfalls in ganz ambivalenter Weise berührend sind die Auftritte des Hackers Adrian Lamo, der Manning als Informationsquelle für WikiLeaks‘ größten Coup an die Sicherheitsbehörden verriet und damit dessen Inhaftierung ermöglichte. Offensichtlich bis zum Kragenrand vollgepumpt mit Psychopharmaka kann Lamo die Tränen kaum zurückhalten, wenn es um seine zwielichtige Rolle im Fall Charles Manning geht.

Trotz dieser wahren Parade von „talking heads“ und einer beachtlichen Laufzeit von 130 Minuten erscheint We Steal Secrets: The Story of WikiLeaks in kaum einer Szene als langatmig. Das liegt vor allem an der Art und Weise, wie der Oscar-Preisträger Gibney (Taxi to the Dark Side) hier Fakten montiert, Bezüge herstellt und emotionale Spannungsbögen schafft, die manchmal fast etwas von einem clever inszenierten Heist-Movie haben.

Wie viele amerikanische Dokumentarfilmer scheut Gibney nicht vor dem Einsatz fiktionaler Mittel zurück, um sein Anliegen möglichst spannend zu präsentieren. Die überaus präsente Filmmusik kommentiert und emotionalisiert punktgenau an jenen Stellen, an denen sich der Film unverhohlen auf die Seite Bradley Mannings schlägt. Überhaupt baut Gibney mit dem Whistleblower im Falle der geleakten Dokumente aus dem Afghanistan- und Irak-Krieg eine Gegenfigur zu Assange auf, die fast schon den Anschein erweckt, es handele sich bei We Steal Secrets um eine filmische Doppelbiografie, wie dies etwa Andres Veiel in Black Box BRD unternahm.

Überhaupt ist die Doppeldeutigkeit, die Vielschichtigkeit und Janusköpfigkeit beinahe schon ein Stilprinzip des Films. Das zeigt sich alleine schon am Titel, den man natürlich WikiLeaks zuschreibt, auch wenn die Plattform keine Geheimnisse stiehlt, sondern „nur“ veröffentlicht. In Wirklichkeit aber stammt der Ausspruch von General Hayden und zeigt gerade vor dem Hintergrund der Enthüllungen von Edward Snowden, welch enorme Bedeutung WikiLeaks historisch gesehen hatte — als Ausgangspunkt einer Entwicklung, die den Mächtigen der Welt das Fürchten lehrt.

Es mutet fast wie eine Ironie der Geschichte an, dass WikiLeaks bzw. Assange im Laufe der Geschichte immer mehr Ähnlichkeit mit jenen Institutionen bekamen, die sie so eifrig bekämpften. Daniel Domscheit-Berg bringt das an einer Stelle treffend auf den Punkt: „WikiLeaks ist das geworden, was es verabscheut und was es eigentlich aus der Welt bringen wollte. Wir müssen uns von der Sicht verabschieden, dass Julian eine Art Heilsbringer war, eine Art neuer Guru, ein neuer Held, ein neuer Popstar, der alles verändern wird.“ Gibneys Film wirkt an dieser Entzauberung mit und setzt gleichzeitig dem emotional instabilen, von inneren Dämonen geplagten und gerade deswegen so mutigen Bradley Manning ein kleines Denkmal — und weiß Gott, dieser Mann kann jeden Beistand gut gebrauchen.

We Steal Secrets: Die WikiLeaks Geschichte

Für die einen ist er ein Freiheitsheld, ein Pionier der Transparenz und des freien Flusses von Informationen, für die anderen ist er ein Verräter, ein rücksichtsloser Egomane, ein Selbstdarsteller und zudem hochgradig paranoid. An kaum jemandem scheiden sich die Geister so sehr wie an Julian Assange, dem Kopf der Enthüllungsplattform WikiLeaks, der immer noch in der ecuadorianischen Botschaft in London lebt und dies möglicherweise auch noch lange tun wird.
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