Vorwärts immer!

Eine Filmkritik von Falk Straub

Die Komödie in ihrem Lauf …

Ostalgie einmal anders: Regisseurin Franziska Meletzky wirft in Vorwärts immer! einen komödiantischen Blick auf die letzten Tage der DDR. Jörg Schüttauf nimmt in einer Doppelrolle deren Polit- und Schauspielelite gehörig auf den Arm.

Ostberlin, am Morgen des 9. Oktober 1989: Erich Mielke und Egon Krenz stehen im Büro ihres Generalsekretärs und diskutieren dessen Ablösung. Als Erich Honecker den Raum betritt, bleiben ihnen die Worte im Hals stecken. Vor holzvertäfelten Wänden und kargem Mobiliar hebt ihr Chef zu einer Rede an. Wie einst Martin Luther King jr. hatte auch der gebürtige Saarländer einen Traum; den von einem besseren Sozialismus. Doch mitten im mit Fistelstimme geschwungenen Vortrag fällt er aus der Rolle. Das sei alles nicht gut genug, plagen Charakterdarsteller Otto Wolf (Jörg Schüttauf) Selbstzweifel. Das Büro entpuppt sich einen Schnitt später als Dekoration auf einer Theaterbühne, Mielke und Krenz als Wolfs Kollegen Hans Götze (André Jung) und Egbert Rauch (Alexander Schubert), seine Rede als Monolog des tagesaktuellen Stücks Vorwärts immer!.

Wolf ist einer der Granden der ostdeutschen Schauspielszene, stets im Clinch mit seinem Kollegen Harry Stein (Devid Striesow), der Wolfs Meinung nach nur deshalb mehr Auszeichnungen als er selbst einheimse, weil Stein mit der Parteiführung ins Bett steige. Doch von Kritik gegenüber der Obrigkeit ist auch bei Wolf nichts zu spüren. Als seine Frau nach der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann in den Westen rübermachte, blieb Wolf mit seiner Tochter Anne (Josefine Preuß) zurück. Und auch bei Vorwärts immer! treibt Wolf weniger die Sorge um dessen Qualität als vielmehr seine Furcht vor Repressalien um. Die muss er schließlich ablegen, als Annes Leben auf dem Spiel steht. Denn die ist mit ihrem Freund Matti (Marc Benjamin) und der Zufallsbekanntschaft August (Jacob Matschenz) auf dem Weg zur geplanten Großdemonstration nach Leipzig. Um eine gewaltsame Niederschlagung des aufbegehrenden Volks abzuwenden, fahren Wolf und Kollegen in voller Maske ins Zentralkomitee. Während der echte Honecker in Wandlitz auf der Jagd weilt, soll Wolf als falscher dessen Schießbefehl zurücknehmen.

Auch wenn der Vergleich mit einem großen Klassiker der Filmgeschichte Vorwärts immer! keinen Gefallen tut, müssen sich Regisseurin Franziska Meletzky und ihr Drehbuchautor Markus Thebe diesen gefallen lassen. Die Gemeinsamkeiten mit Ernst Lubitschs Sein oder Nichtsein (1942) sind schlicht zu frappierend. Beide Komödien spielen im Theatermilieu, dessen Akteure in Krisenzeiten ein regimekritisches Stück einstudieren und aus der Not heraus den Lauf der Geschichte durch einen Schwindel verändern. Beide brechen das Genre durch Elemente aus anderen Gattungen auf. Und beide setzen auf eine Hauptfigur, die ihre Unsicherheit mit Narzissmus übertüncht. An Lubitschs Meisterwerk, das in allen erdenklichen Bestenlisten stets weit vorne landet, reicht Meletzkys Schelmenstück natürlich nicht heran. Es wäre aber zu wünschen, dass sich allein der Mut, auf die geradezu anachronistisch anmutende Spielart der Verwechslungskomödie zu setzen, an den Kinokassen auszahlte. Denn Vorwärts immer! hat so manche Qualität vorzuweisen, die viele deutsche Komödien allzu häufig vermissen lassen.

Wie einst der Berliner Lubitsch setzt auch die gebürtige Leipzigerin Meletzky auf eine theatrale Inszenierung. Viele Szenen spielen drinnen oder in Außenansichten, die wie Innenräume inszeniert sind. Ausleuchtung, Kostüme und leicht erkennbare Rückprojektionen während der Autofahrten unterstreichen das Kulissenhafte. Der boulevardesken Handlung tut das jedoch keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil! In ihren Masken und Marotten erstarrt, werden die Politgrößen der Deutschen Demokratischen Republik zu billigen Schmierenkomödianten degradiert. Das ist meist slapstickhaft, ab und an ziemlich klamaukig, aber niemals einfallslos. Wenn etwa zwei Mitarbeiter der Staatssicherheit den als Honecker geschminkten Otto Wolf vor dem Theater bespitzeln und einer sich dabei als Lippenleser betätigt, dann ist das einfach tadellos geschrieben, gespielt, gefilmt und montiert. Und um eine ähnlich absurde Szene wie gegen Ende zu finden, wenn der falsche mit dem echten Honecker ein existenzialistisches Selbstgespräch führt, muss man schon tief in die Archive der deutschen Filmgeschichte hinabsteigen.

Spielfreude und -witz des Ensembles, allen voran Jörg Schüttaufs, sind offenkundig. Etwas mehr davon hätte es gern auch im Drehbuch sein dürfen. Das ist zwar wendungsreich und pointiert geschrieben, verschleppt aber häufig etwas zu sehr das Tempo. Der Nebenstrang um Annes Flucht zwischen zwei Männern, der wohl als Mischung aus Spannungs- und Screwballmoment gedacht war, zündet nie so gut wie der Part der Theatertruppe auf Rettungsmission. Und selbst bei dieser hätten die Macher die Absurditätsspirale mit ein, zwei Täuschungsmanövern und Verwechslungen mehr noch deutlich weiter treiben können. Es bleibt also abzuwarten, ob das Publikum die ansonsten gelungene Komödie an den Kinokassen vorwärts trägt oder aufhält.
 

Vorwärts immer!

Ostalgie einmal anders: Regisseurin Franziska Meletzky wirft in „Vorwärts immer!“ einen komödiantischen Blick auf die letzten Tage der DDR. Jörg Schüttauf nimmt in einer Doppelrolle deren Polit- und Schauspielelite gehörig auf den Arm.

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