Vierzehn (2012)

Eine Filmkritik von Stephan Langer

"Mama, bin ich jetzt wirklich schwanger?"

Die Naivität dieser Frage muss man Fabienne in ihrer Situation wohl einfach lassen, wird sie doch ungewollt Mutter – mit ihren noch deutlich teenagergrünen 14 Jahren. Die Art und Weise allerdings, wie gerade sie einen rasanten Entwicklungs- und Reifeprozess durchläuft, vom mutwillig ihre Umwelt provozierenden Schlägermädchen auf dem Schulhof hin zur liebevollen Mutter, das ist im positiven Sinne irritierend und dabei doch durchaus unterhaltsam mitzuerleben. Fabienne ist eine der vier jungen Protagonistinnen, die von Regisseurin Cornelia Grünberg in ihrem angenehm sachlich interessierten Dokumentarfilm Vierzehn über zwei Jahre hinweg begleitet wurden.

Vierzehn beginnt mit eindrücklichen Bildern der vier Mädchen, die gemeinsam an einem Tisch sitzen, während die Kamera an ihnen vorbeigleitet, bei jeder innehält und stoisch das Gesicht fokussiert, dazu hört man die gerade Gefilmte sich aus dem Off vorstellen, der Mund im Bild bleibt geschlossen und unbewegt. In sich ruhend und gefestigt (das wird im Folgenden auch mal ganz anders sein), so lernen wir Fabienne, Steffi, Laura und Lisa kennen. Neben dem Umstand, dass sie Hauptdarstellerinnen des Films sind, haben sie außerdem gemein, dass sie es alle vier mit der Verhütung nicht ganz so ernst genommen haben. Diese Ernsthaftigkeit ist etwas Erwachsenes, sie gehört mit 14 gefühlt noch nicht zum Problembereich des eigenen Lebens – doch mit der äußerst realen Konsequenz einer Schwangerschaft fällt dann ganz unvermittelt und kompromisslos gewichtiger Ernst in das Leben der vier ein. Ganz plötzlich sind sie gezwungen zu realisieren, dass die Situation, in der sie sich befinden, wohl die erste im Leben von jeder ist, um die sie nicht herumkommen, vor der sie sich unter keinen Umständen drücken können. Eine Entscheidung muss her: das Kind abtreiben oder junge Mutter werden, mit allen Problemen und Herausforderungen. Die gesamte Bandbreite ihres emotionalen Durcheinanders drückt sich in mancher Reaktion der Mädchen aus: Für Steffi ist die Nachricht über ihre Schwangerschaft die Hölle, sie denkt kurzzeitig darüber nach, wie sie das Kind schnell wieder los bekommen könnte, ohne dass es jemand mitkriegt. Trotzdem entscheidet sie sich schließlich für ihr Kind. Fabienne dagegen denkt handfest über Abtreibung nach, lässt sich dafür sogar einen Termin im Krankenhaus geben, verliert daraufhin all ihre Kraft: sie bringt den Eingriff schlicht nicht übers Herz. Anders Lisa: Sie hält ihre Schwangerschaft bis zum vierten Monat aus Angst geheim, und Laura stellt alle ihre Zukunftspläne, in denen Mutter werden keine Rolle spielte, zur Seite, um sich der Situation zu stellen.

Angesichts solch emotionaler Achterbahnfahrten präsentiert sich Vierzehn als ausgewogenes Gegengewicht, eben nicht als verurteilender, ja noch nicht einmal als urteilender Film. Entgegen jeglichem Gefühlschaos bietet er einen wohltuend wertfreien Einblick in das alltägliche Leben der werdenen Teenagermütter, in ihre persönlichen Geschichten und verschiedensten Gedanken. Dabei schafft es Grünberg offensichtlich, eine enge Vertrauensbasis zu jedem der Mädchen aufzubauen, ohne dabei allerdings jene Distanz aufzugeben, die für das Filmemachen essentiell ist. Die Akzeptanz seitens der Mädchen, die die Regisseurin über Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen in Deutschland kennen lernte, ist sicherlich mit in der authentischen Empathie begründet, die Grünberg für alle vier aufbringen kann – gespeist aus eigenen Erfahrungen ihrer Vergangenheit als junge Mutter. Durch die etablierte Nähe zu ihren Protagonistinnen gelingt Grünberg in der Mitte des Filmes ein kleiner Coup: Sie begleitet Laura von ihrem errechneten Geburtstermin an jedem Tag mit der Kamera, so dass sie dann auch bei der Geburt dabei ist und filmen kann. Diese Geburtsszenen bilden das dramaturgische Zentrum von Vierzehn, alles Vorherige und Folgende ist auf sie bezogen. Was von diesem Zentrum im Gedächtnis bleibt, ist zweierlei: zuerst die ansteckende Bestimmtheit, mit der diese heranwachsende Laura im entscheidenden Moment energische Anweisungen erteilt: „Arzt, bitte hierbleiben!!“, dann kurz darauf die Geburt selbst, die einfach so beginnt, passiert, da ist, ganz plötzlich, ja fast schon flüchtig. Ein wichtiger Moment ereignet sich im Film nebenbei, das ist ganz wunderbar anzusehen.

Ebenfalls erstaunlich ist in jedem Fall der rasante Reifesprung, den die vier Mädchen vollziehen, jede auf ihre Weise, zum Beispiel Laura, die an einer Stelle nach der Geburt sagt: „Ich kann manchmal verstehen, warum Leute ihre Kinder umbringen.“ Zu erkennen, dass süße, kleine Babies problemlos in der Lage sind emotionale und nervliche Kapazitäten bis an die Belastbarkeitsgrenzen zu strapazieren, auch das gehört zum werdenden Elternsein. Insofern ist es einfach ehrlich, dass solche Aussagen im Film enthalten geblieben sind. Besonders deutlich wird die erzwungene Frühreife der Mädchen im Vergleich zu den an ihrer Seite stehenden Jungs, mit denen sie in der Phase der Schwangerschaft eine Beziehung führen. Die Mütter haben sich nicht nur körperlich verändert: Neben ihren mutigen Entscheidungen und dem Versuch, soweit möglich Verantwortung in ihrem Leben zu übernehmen, wirken die Jungs stellenweise wie im Kindesalter stecken geblieben. Drei der vier kommen folgerichtig in der Praxis mit ihrer Vaterrolle schwer bis nicht zurecht, woraufhin die Beziehungen beendet werden. Die durch den Entwicklungsrückstand verschiedenen Lebenswelten werden hier ganz deutlich. Weniger deutlich werden an anderer Stelle leider die Verhältnisse der vier Mädchen zu ihrem sozialen Umfeld, zu ihren Mitschülerinnen und Mitschülern und zu den Müttern bzw. Großmüttern. Das generationenübergreifende Tischgespräch zwischen Laura, ihrer Mutter und Großmutter ist eine schöne Szene, hätte eventuell aber noch ergiebigeren Einblick bieten können über Unterschiede von Frauen- und Männerrollen bei jungen Eltern und über verschiedene Erziehungsideale über den Zeitraum vieler Jahre. Von den Mitschülerinnen und Mitschülern hätte man sich vielleicht das eine oder andere Interview gewünscht, um die in den Klassenzimmer- und Schulhofbildern ersichtliche Unsicherheit, mit der fast alle den frisch gebackenen Müttern begegnen, durch Aussagen zu unterstützen und damit noch präziser auf den Punkt zu bringen. Gleichaltrige in der Schule lernen wohl eher den Alkohol kennen, als sich über die Organisation der eigenen kleinen Familie den Kopf zu zerbrechen.

Regisseurin Grünberg sagte in einem Interview, sie habe keinen Aufklärungsfilm drehen wollen. Naja, auch wenn sie es vielleicht nicht allzu gern hört, muss man ihr mit Verlaub deutlich entgegnen: Ab an die Schulen mit Vierzehn! Nicht nur, aber vor allem dort gehört er hin. Jugendliche, die ihn sehen, können hier jenseits aller Handypornos in muffigen Schulhofecken, jenseits allem pubertären Bravobiedermeier und jenseits teils alarmistischer, stets hypersexualisierter Medienwelt allerortens einmal erfahren, vielleicht sogar spüren, was es bedeutet sich zu verlieben, Sex zu haben und ungewollt schwanger zu werden. Gegenüber nahezu sämtlichen Medien und dem vielerorts immer noch zu abstrakten Aufklärungsunterricht, ist die Stärke von Vierzehn, dass er die Offenheit, die jugendliche Zuschauer dem Medium Film entgegenbringen, nicht lärmend ausnutzt, sondern sie auf einer wirklichen Ebene berührt, weil das Dargebotene in ihrer individuell-realen Lebenswelt stattfindet. Der Film betrifft die Jugendlichen. Nicht nur deswegen ist es überhaupt gar nicht notwendig, Filmbilder mit solch schmalziger, einfach fürchterlicher Musik zu unterlegen, wie es unglücklicherweise der Fall ist. Das seichte Gedudel soll offenbar mit seinem Popappeal emotionalisieren, und das tut es auch, nur leider an unpassenden bis irritierenden Stellen. In diesen Momenten dann wirkt Vierzehn leider wie ein weichgespülter Musikclip.

Solches Anbiedern hat der Film nicht nötig, zeichnet er sich sonst durch Konzept und handwerkliche Qualität aus. Glücklicherweise hat Cornelia Grünberg in der Zukunft noch Spielraum, Unstimmiges nicht mehr unbedingt zu wiederholen, denn sie will mit Hilfe der vier Mädchen eine Langzeitdokumentation verwirklichen. Zwei weitere Filme soll es geben: Achtzehn soll der nächste heissen, in dem es unter anderem darum gehen soll, dass die Mädchen von ihren Müttern das Sorgerecht offiziell übertragen bekommen. Später dann soll es noch einen dritten geben, wenn dann die Kinder der jungen Mütter auch 14 Jahre alt sind, das Alter, in dem ihre Mütter sie gebaren. Allerhand Interessantes könnte während dieses Vorhabens zu Tage treten. Dazu kann man der Regisseurin viel Durchahltevermögen und Glück wünschen und gespannt sein auf das Kommende.
 

Vierzehn (2012)

Die Naivität dieser Frage muss man Fabienne in ihrer Situation wohl einfach lassen, wird sie doch ungewollt Mutter – mit ihren noch deutlich teenagergrünen 14 Jahren. Die Art und Weise allerdings, wie gerade sie einen rasanten Entwicklungs- und Reifeprozess durchläuft, vom mutwillig ihre Umwelt provozierenden Schlägermädchen auf dem Schulhof hin zur liebevollen Mutter, das ist im positiven Sinne irritierend und dabei doch durchaus unterhaltsam mitzuerleben.

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