Tulpenfieber

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

Geschichten ohne Ende

„Geschichten haben kein Ende“ heißt es in Tulpenfieber und im Fall dieses Films scheint das nicht ohne Ironie zuzutreffen. Zum einen, weil es sich bei dem Historiendrama um eine Literaturverfilmung handelt – die Geschichte also schon einmal die Übertragung von einem Medium ins andere überlebt hat. Zum anderen, weil sich der Kinostart sowohl in Deutschland als auch in den USA immer wieder nach hinten verschoben hatte. Die vollen Terminkalender von Alicia Vikander und Christoph Waltz wurden als Hindernis für eine würdige Promotour genannt. Trotzdem ziehen solche Verschiebungen – von Juli 2016 auf Februar 2017 auf August 2017 – meist hochgezogene Augenbrauen nach sich. Man wittert Fehler und Unzulänglichkeiten.

Tulpenfieber ist im Jahre 1634 angesiedelt, und auch wenn er statt in Delft in Amsterdam spielt, erinnern die reichen Kostüme, die Kleider mit gestärkten Halskrausen und baumwollenen Häubchen, die aufwendigen Settings und finsteren Grachten zuweilen an Das Mädchen mit dem Perlenohrring. Ein Film, der seinerzeit kritisiert wurde als Historienschmonzette, in der nichts passiere. Aber Peter Webber gelang es darin die Sinnlichkeit einzufangen, mit der Licht und Farben sich zu einem wahrnehmbaren, doch nur annähernd reproduzierbaren Anblick zusammenfinden. Eine gewisse Essenz der beinahe fotorealistischen Gemälde von Jan Vermeer war in dem Künstlerbiopic enthalten. Tulpenfieber ist in dieser Hinsicht das glatte Gegenteil: in nur knapp zwei Stunden passiert unheimlich viel. Die junge Sophia (Alicia Vikander) wird direkt aus dem Waisenhaus an den wesentlich älteren Kaufmann Cornelis Sandvoort (Christoph Waltz) verheiratet, soll ihm planmäßig ein Haus voller Kinder schenken und verliebt sich stattdessen in ihren gleichaltrigen Porträtmaler (Dane DeHaan).

Als Namensgeber des Films dient die Blume, von deren Zucht und Handel die ganze Welt Anfang des 17. Jahrhunderts besessen war. Gleich zu Beginn zeigen Illustrationen im Stil eines farbigen Holzschnitts die Bedeutung der Tulpe und ihrer Hybriden: zufällig mutierte Blumenzwiebeln, deren mehrfarbige Sprösse auf dem Markt in Amsterdam besonders hohe Preis erzielten. Die Stimme der Erzählerin setzt ein: Maria (Holliday Granger), die sich schon bald als Sophias Hausangestellte und engste Vertraute entpuppt. Mit diesen Gestaltungsmerkmalen ist das Wesen von Tulpenfieber auch schon beinahe gänzlich erfasst. Eine allwissende Erzählerin, die es sich nicht nehmen lässt, zentrale Wendepunkte vorweg anzudeuten. Einen Blick in den Spiegel, angetan mit Sophias prunkvollen Gewändern, kommentiert sie: „Ich sah die Zukunft, ohne es zu wissen.“ Dazu eine florale Allegorie, die sich anschaulich durch die gesamte Handlung zieht. Tulpenfieber ist trotz des betriebenen Aufwands bei seiner Adaption romanhaft geblieben.

Zu einem Ärgernis macht das den Film nicht. Ganz im Gegenteil. Der zugrundeliegende Roman von Deborah Moggach erweist sich als ausgezeichnetes Vehikel für eine vieldimensionale Figurenzeichnung, die sich simplen Gut-Böse-Dichotomien verweigert. Selbst Sophias Ehemann ist nicht einfach der garstige Unterdrücker: Regisseur Justin Chadwick legt ihn als gebrochenen Mann mit Hang zur Melancholie an, als Gefangenen seiner Zeit und seiner Konventionen, wie alle anderen auch – so kommt es, dass Christoph Waltz tatsächlich einmal keinen reinen Choleriker spielt. Erfreulich sind überraschenderweise sogar die Sexszenen in Tulpenfieber: Chadwick nutzt sie, um Parallelen oder Kontraste aufzuzeigen, unterbricht den ehelichen Pflichtbeischlaf mit Szenen aus dem Bett der Dienerschaft, in dem es ungleich leidenschaftlicher zugeht. Oder er verwebt Aufnahmen von Sophia und ihrem Maler mit einer offiziellen Portraitsitzung. In jedem Fall sind es die Wahrnehmungswelten der Frauen, die in diesen Szenen im Mittelpunkt stehen: manches Mal ihr Pflichtgefühl, ihr Leid, aber oft auch ihre Lust.

Und doch schleicht sich ein Gefühl von Unfertigkeit in das Sichtungserlebnis. Ein gutes Beispiel dafür ist die Rolle von Cara Delevingne, die in anderen Produktionen mittlerweile immerhin Hauptrollen spielt, etwa in Luc Bessons Valerian — Die Stadt der tausend Planeten. Hier taucht sie als Prostituierte auf, die im Dunstkreis des Tulpenmarkts versucht, ihr Glück zu machen. Die Kamera bleibt lange an ihr hängen, als sie ihr Gesicht zum ersten Mal erblickt, gibt den Anschein, als hätten wir es mit einer wichtigen Figur zu tun. Ihr eigentlicher Auftritt dauert später nur Sekunden und hinterlässt einen schalen Nachgeschmack. Er wirkt unfertig, halbherzig gekürzt. Und überhaupt scheinen die Liebesgeschichten im Hause Sandvoort und die Ereignisse im Tulpenmarkt seltsam starr nebeneinander zu stehen. Die Handlung behauptet zwar ihren Zusammenhang, was aber fehlt, ist das Gefühl für filmische Mittel, die eine Geschichte auf der großen Leinwand erst richtig zum Leben erwecken.
 

Tulpenfieber

„Geschichten haben kein Ende“ heißt es in „Tulpenfieber“ und im Fall dieses Films scheint das nicht ohne Ironie zuzutreffen. Zum einen, weil es sich bei dem Historiendrama um eine Literaturverfilmung handelt – die Geschichte also schon einmal die Übertragung von einem Medium ins andere überlebt hat.

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Meinungen

Hans im Glück · 17.08.2021

Eine sehr passende Kritik.
Gerade die nicht gegebenen Gut-Böse-Charaktere haben mir persönlich sehr gut gefallen.
Die beschriebenen Sexszenen hingegen fand ich persönlich als zu lang ausgearbeitet. In der ersten Hälfte des Filmes scheint es quasi nur darun zu drehen und man fragt sich schon, ob und wann denn endlich auch mal Handlung entstehen wird. Diese kommt dann aber zum Glück im zweiten Teil des Filmes. Ein bisschen kürzer hätte er in diesem Sinne auch gerne sein können.