Töchter

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Auf der Suche

„Ich schaff‘ das!“, versichert die stark alkoholisierte Agnes dem besorgten (und wohl auch ein wenig genervten) Barkeeper, der ihr anbietet, ein Taxi zu bestellen. Als Zuschauer ahnt man zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits, dass dies kein Film wird, der davon erzählt, wie Figuren etwas „schaffen“ – kein Film über das Gelingen, über das Zustandekommen von Positivem oder über die Erfüllung von Wünschen und Sehnsüchten. Maria Speths Töchter ist vielmehr ein Werk über die Dysfunktion – sowohl im Zwischenmenschlichen als auch im Inneren des Einzelnen.
Die Deutschlehrerin Agnes (Corinna Kirchhoff) ist nach Berlin gereist, da die Polizei den Leichnam eines Mädchens gefunden hat, das den Schülerausweis ihrer verschwundenen Tochter Lydia bei sich trug. Wie sich herausstellt, handelt es sich bei der Toten aber nicht um Agnes‘ Tochter. Agnes mietet sich daraufhin ein Auto, um in der Stadt nach Lydia zu suchen – bis ihr nach einem Abend des übermäßigen Weinkonsums die junge, anscheinend obdachlose Ines (Kathleen Morgeneyer) vor den Wagen läuft. Zwischen den beiden Frauen entwickelt sich alsbald ein eigentümliches Verhältnis.

Keine Sorge: Töchter ist meilenweit davon entfernt, ein triviales Melodram zu sein, in welchem die ältere Frau zur Ersatzmutter der jüngeren und die jüngere Frau zur Ersatztochter der älteren wird. Die entstehende Beziehung zwischen den beiden ist weitaus weniger klar – weil das Verhalten von Agnes und Ines einer psychologischen Ausdeutung Grenzen zieht. Vieles, was die beiden sagen oder tun, ist für den Betrachter kaum begreifbar – nicht zuletzt deshalb, weil das Drehbuch in der Schilderung der Vorgeschichte und Lebenssituation beider Protagonistinnen Leerstellen (zu)lässt. Wie schon in Speths Film Madonnen (2007) wird nur sehr bedingt zur Empathie eingeladen; das Handeln der Figuren bleibt weitgehend unerklärt, oft auch unangenehm. Agnes mutet einsam, verloren, hilflos und müde an – legt mitunter aber auch Ruppigkeit und Härte an den Tag. Welche Gefühle sie für Ines hegt – Mitleid, Abscheu, Angst, Sympathie, Begehren oder Liebe –, lässt sich allenfalls erahnen. Die wankelmütige Ines, die sich selbst als „Künstlerin“ versteht, nimmt sich gar als ein noch größeres Enigma aus: Mal prollig, mal intellektuell, mal selbstbewusst, mal selbstzerstörerisch – gewissermaßen die fleischgewordene Unberechenbarkeit, deren Repertoire vom Dozieren über das Dieter-Duhm-Werk Angst im Kapitalismus bis zur völlig grundlosen Nacktheit in denkbar unangemessenen Situationen reicht. Wie sie sich in Agnes‘ Hotelzimmer einnistet, hat fraglos etwas Parasitäres – allerdings kann man sich zugleich des Eindrucks nicht erwehren, dass Agnes Ines‘ Anwesenheit „braucht“.

Irritierend und hochinteressant ist die Diskrepanz zwischen dem rohen Realismus der Bilder und der Manieriertheit der Sprache. In den Außenaufnahmen wird ein gnadenlos hässliches Berlin gezeigt; die Innenräume evozieren maximale Unbehaglichkeit. In dieser schmucklosen Kulisse werden zum Teil recht gestelzte Dialoge dargeboten – insbesondere Ines untermauert ihre Anti-Haltung zuweilen mit äußerst prätentiösen Worten. Dass dieses Konzept hier so gut funktioniert, liegt vor allem an den wunderbaren, Theater-erprobten Schauspielerinnen Corinna Kirchhoff und Kathleen Morgeneyer, deren Kraftakte Hochschätzung verdienen. Töchter ist ein Film, dessen Sichtung anstrengend, aber ohne Zweifel lohnend ist – denn er ist ambitioniert, mutig und unkonventionell.

Töchter

„Ich schaff‘ das!“, versichert die stark alkoholisierte Agnes dem besorgten (und wohl auch ein wenig genervten) Barkeeper, der ihr anbietet, ein Taxi zu bestellen. Als Zuschauer ahnt man zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits, dass dies kein Film wird, der davon erzählt, wie Figuren etwas „schaffen“ – kein Film über das Gelingen, über das Zustandekommen von Positivem oder über die Erfüllung von Wünschen und Sehnsüchten.
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