Tod den Hippies - es lebe der Punk!

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Warum läuft Herr R. Amok?

Wer zeitgeschichtlich korrekte Filmdramen verehrt, wurde bei Oskar Roehler bekanntlich noch nie besonders fündig – und glücklich: Zu sehr ist sein Kino den eigenen Obsessionen verfallen, zu sehr arbeitet es sich beständig an den „Sexuellen Neurosen unserer Eltern“ (Lukas Bärfuss) ab. Nachdem er Ende der 1990er Jahre und mit einem Welterfolg (Die Unberührbare) im Rücken kurzzeitig schon als „neuer Fassbinder“ hochgejubelt wurde, sinkt sein Stern seitdem, nicht nur kommerziell (Suck My Dick!, Jud Süß – Film ohne Gewissen), sondern vor allem auch künstlerisch. Viel zu brav adaptierte er 2006, wohl auch unter dem Druck des Produzenten Bernd Eichinger, Michel Houellebecqs Skandalroman Elementarteilchen für die Leinwand. Bis er selbst zur Feder griff und zuerst ein holpriges Schriftstellerdebüt (Herkunft) ablieferte, das er anschließend selbst inszenierte (Quellen des Lebens), natürlich nach eigenem Drehbuch, und – wenig verschlüsselt – mit Oskar-Roehler-Alter Egos bevölkerte. Und nun? Törööö: The same procedure as every Roehler.
Mit Tod den Hippies – Es lebe der Punk! wiederholt sich dasselbe Spiel – mit demselben Ausgang. Mein Leben als Affenarsch heißt der neue, zweite Roman des ewigen enfant terribles des zeitgenössischen deutschen Autorenfilms. Robert (Tom Schilling), der verwahrloste Anti-Held des Herkunft-Romans, setzt nun zu Beginn der 1980er Jahre – im Roman wie im Kinofilm – seinen künstlerisch-kreativen Werdegang fort und landet im üppig subventionierten Aussteigerzentrum der alten Dame BRD, in der dystopischen Frontstadt des Kalten Kriegs, kurz: in West-Berlin. In dieser trostlos-nihilistischen Ruinenstadt, in der die Uhren anders zu laufen scheinen, will er Fuß fassen als Punkmusiker und „Do-it-yourself“-Verwirklicher. Und landet doch nur im Risiko, beeindruckend präzise nachgebaut von Szenenbildner Eduard Krajewski. Dort schenken täglich Blixa Bargeld und Nick Cave, die Paten des kruden New-Wave-Zeitgeists, ihren Gästen höchstpersönlich den Wodka ein. Gleich aus Kanistern und natürlich nur den billigsten. Alexander Scheer und Marc Hosemann brillieren mit Bruderkuss und selbstironischen Posen als drogengeschwängterte Szene-Stars – und bleiben die einzigen Lichtblicke in Roehlers neuem Ensemblefilm.

Als „Geniale Dilletanten“ (Wolfgang Müller) der ersten Stunde durchstreifen sie den kruden Plot um das Provinzei Robert, der einfach nur ausbrechen will: Aus hippieverseuchten Schulen und vorgezeichneten Karrierewegen („Du könntest doch auch auf Lehramt machen!“), die seine kreuzbrave Jungfrauenfreundin (Marie-Luise Lux) fürs gemeinsame Familienwohl in der fränkischen Diaspora („Erlangen“) schon ausgetüftelt hat. Doch Robert, den Tom Schilling mit Irokesenschnitt, Wehrmachtsmantel und dünner schwarzer Krawatte auffällig unauffälig verkörpert, ist anders: angewidert von der eigenen Mutter (Hannelore Hoger als Methadon-Frack mit Killerinstinkt) und ohne wirkliche Erwartungen an den abgewrackten Lektoren-Vater (Samuel Finzi als blasser Paranoiker) will er endlich in die „Hauptstadt des Heroins“ (David Bowie) aufbrechen. Dort feiert er schließlich seinen Nicht-Durchbruch als Poète maudit, was Roehler geradezu wörtlich in Szene setzt: Als Sperma-Abwischer-vom-Dienst in einer verlotterten Peep-Show, gleich gegenüber vom Bahnhof Zoo („Das hier ist nichts für mich – Ich bin Künstler!“). Dort verkehren nicht nur die berühmten Undergroundmusiker, sondern auch der Bürgermeister, ein angedeuteter Eberhard-Diepgen-Verschnitt, und so mancher einsame Bürohengst, von denen sich Robert dann nach durchzechten Nächten mit Speed-Dröhnung und Tequila-Rausch das Sozialhilfegeld auszahlen lässt. Roehler zelebriert den legendären „Mythos West-Berlin“ nicht, er zertrümmert ihn vielmehr, will ihn mit grotesken Albtraumszenen persiflieren, was nur selten gelingt.

Das scheinbar paradiesische Mekka der Wehrpflichtflüchtigen und sinnsuchenden Lebenskünstler bleibt seltsam unlebendig in Carl-Friedrich Koschnicks Kameraarbeit: Viele Einstellungen sind deutlich zu glatt geraten, von Exzess, Bedrohung oder gar Absturz ist viel zu wenig zu spüren. Das wortwörtliche „No-Future“-Gefühl der beginnenden 1980er Jahre steht allein an den Wänden in Roberts ärmlicher Betonkammer, die ihm als Schlafstätte dient. Schwarz (Wilson Gonzalez Ochsenknecht), ein Schulfreund aus früheren Tagen, der mittlerweile das Wichsfiguren-Kabinett am Bahnhof betreibt, hat es ihm kumpelhaft angeboten. Zusammen werden sie später versuchen, Roberts versoffenem Vater Klaus (alias Klaus Roehler) „das Geld von der Gudrun“ abzuknöpfen. Schließich sei er der inoffizielle „Kassenwart der RAF“ gewesen: Ein weiterer misslungener Versuch Roehlers, wenn nicht gleich Spannung, dann doch wenigstens so etwas wie Abwechslung in seinen rüden, gar nicht lustigen Aussteigerfilm zu bringen.

„Hau drauf, Roland, hau drauf!“ soll Bernd Eichinger während des Drehs von Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo zu Regisseur Klick hineingerufen haben. Genau das Gegenteil wünscht man sich mehrmals in Roehlers West-Berlin-Variation, denn nichts wird hier auserzählt, vieles nur stümperhaft angerissen: So ist ein loser Episodenreigen entstanden, der wild und einige Male schwer erträglich tatsächliche Mythen der Mauerstadt filmisch instrumentalisiert – mit fatalen Folgen: Im „Ich will dich fisten!“-Song des schwulen Ledernazis Gries (Frederick Lau), einem weiteren Ex-Schulkameraden Roberts, kulminiert Roehlers falscher Impetus dann vollends: Eine misslungenere Rainer-Werner-Fassbinder-Hommage innerhalb eines deutschen Spielfilms gab es selten zu sehen. Sie erinnert an Radu Gabreas plump hingerotzten Versuch Ein Mann wie Eva (1984), den „Mythos RWF“ im Kino posthum abzufeiern. Natürlich steht „der Rainer“ (Fritz Roth) im schwarzen Schummerlicht eines SM-Clubs auf der Empore, geistesabwesend, mit Koks vollgepumpt. Und Gries arbeitet ihm als „künstlerischer Mitarbeiter“ zu, eine offene Anspielung auf Harry Baers Schicksal an der Seite des echten Genies. Dazu im Hintergrund: Burkhard-Driest-Gestalten und die Sorge, dass schon wieder „der Stoff“ für den Meister ausgegangen ist.

Eher unfreiweilig löst Roehlers neues Kinomonstrum, das Motto der Filmfigur Gries, einen „Klassiker des bad taste“ schaffen zu wollen, minütlich ein. Herausgekommen ist dabei kein Rimbaud-, sondern ein gnadenloser Rambo-Film, eine andere verunglückte Drehbuchzeile. Tod den Hippies – Es lebe der Punk! ist zuweilen durchaus frech und politisch ziemlich unkorrekt, doch das Label „Punk“ wurde dem Filmprojekt am Ende doch nur ziemlich lieblos übergestülpt. Das Spiel mit den Siglen der Zeit (z.B. Gries‘ Hakenkreuz-Brusthaar-Frisur) geht selten auf, wird aber wenigstens von Martin Todsharows Musikauswahl mit Abwärts, Cabaret Voltaire oder Alien Sex Fiend am Leben gehalten – und untermauert doch gerade eines: Das übertriebene Ego-Bild des Regisseurs Oskar Roehler als „Genialen Dilettanten“ von einst, der heute selbst noch weit vom „Mythos Roehler“ entfernt ist. Was als groteske Farce angelegt war, endet im künstlerischen Fiasko. Zwischen stupider „Fuck-off“-Rhetorik und maßlos geschmacklosen Mini-Szenen (wie dem Amoklauf in der Schule oder dem zwangsverordneten Tafelputzen für einen jüdischen Mitschüler) bleibt nicht viel hängen von Roehlers lauten und lose zusammengewurschtelten Szenerien zwischen West-Berlin, München, Nürnberg und Darmstadt.

Das Ende der Roehler’schen Möbiusschleife wird schließlich auf einem Laster in der ägyptischen Wüste erreicht. Im Hoheitsgebiet der Scharia wollen die wiedervereinigten Kumpanen Robert und Schwarz einen Imbissladen mit „Schwarzwürsten“ (!) eröffnen, während in der letzten Einstellung gerade ungesicherter Atommüll eingelagert wird: Der Nullpunkt in diesem „Null-Bock“-Film des Wahl-Berliners. Es ist eben nicht leicht, der neue Fassbinder zu sein. Denn der war doch Das Glück dieser Erde, wie es im Refrain aus Joachim Witts NDW-Schlager so passend heißt. Der echte Fassbinder hörte ihn in den letzten Tagen seines Lebens auf Anschlag und wollte daraus eine New-Wave-Komödie mit viel Zeitgeist machen. Sich diesen nicht mehr gedrehten Film vorzustellen, macht deutlich mehr Spaß, als Roehlers unausgegorene Romanadaption, die seine eigene Sperrstunde einleiten dürfte.

Tod den Hippies - es lebe der Punk!

Wer zeitgeschichtlich korrekte Filmdramen verehrt, wurde bei Oskar Roehler bekanntlich noch nie besonders fündig – und glücklich: Zu sehr ist sein Kino den eigenen Obsessionen verfallen, zu sehr arbeitet es sich beständig an den „Sexuellen Neurosen unserer Eltern“ (Lukas Bärfuss) ab.
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Meinungen

Daniel G · 15.05.2017

Selten so einen miesen Film gesehen

Karl · 13.04.2015

Vielleicht ist der Roman von Oskar Roehler ja besser, aber der Film ist echt Schrott: Die meisten Figuren sind Karikaturen ihrer selbst. Ziemlich trashig - aber ohne Unterhaltungswert oder erkennbaren Sinn.

Pol · 04.04.2015

unglaublich schlecht geschauspielert, gelinde gesagt schlechte story und mit punk hat das auch nich viel zu tun. 7 euro dafür ist eine riesige verschwendung! kurzum: scheissflim, geht nicht rein! da ist \"surfnazis must die\" besser.

Doc Doolittle · 31.03.2015

Simon Hauk spricht mir aus der Seele. Hatte ich nach "Der alte Affe Angst" und Elementarteilchen" eigentlich seinen Filmen abgeschworen, lockte mich nun das Thema, das Berlin der achtziger Jahre, um Oskar Roehlers neuem Versuch anzusehen.

Und nein, es lohnt sich nicht, "Tod den Hippies - es lebe der Punk! zu sehen. Ich war mit einem alten Freund dort, der das alte Westberlin geliebt und gelebt hat - ihm war es zu wenig Zeitgeist und Zeitgeschehen und zu viel selbstverliebtes Überzeichnen jeglicher Szenen.
Und spätestens bei den völlig sinnfrei angeklatschten Altenheimszenen mit ordentlich Filmfäkalie verließen die ersten Besucher den Saal. Ärgerlich bis langweilig.

Tommy · 24.03.2015

Das Thema an sich klingt ganz vielversprechend: Punk ist mir (Jahrgang 70) deutlich näher als die Hippie-Ära, und als Ex-Berliner bin ich Geschichen aus meiner alten Heimat immer sehr wohlwollend gegenüber. Aber dieser Verriß auf kino-zeit.de (kommt in dieser Deutlichkeit ja eher selten vor) macht mich doch etwas skeptisch; und dem stimme ja auch zu: Elementarteilchen war eine ziemlich öde Verfilmung des Romans von Houellebecq (wieso eigentlich "Skandal"-Roman? Hr. Hauck, haben Sie ihn gelesen?).